Muse der Modeszene

■ Gesichter der Großstadt: Vivienne Westwood, "Mutter des Punk" und weltweit anerkannte Modedesignerin, lehrt an der Hochschule der künste den perfekten Schnitt

Wer sie treffen will, kriegt als Auflage Redeverbot über ein bestimmtes Thema. Dieses ist nicht besonders heiß. Aber Françoise, Vivienne Westwoods Assistentin in London, warnt jeden Bittsteller: „Wenn Sie mit Vivienne über Punk reden, wird sie schlecht gelaunt und bricht das Gespräch ab.“

Zu vielen Journalisten ist schon oft zuwenig eingefallen, wenn sie Londons bekannteste Modedesignerin interviewten. Die allermeisten entpuppten sich als Einfaltspinsel, sagt Françoise, und redeten mit der einstigen Grundschullehrerin und „Mutter des Punk“ über eben nichts anderes als über die Zeit, als Westwood Ende der siebziger Jahre zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten, dem Chefideologen des Punk und Sex- Pistols-Manager Malcolm McLaren, Sicherheitsnadeln und löchrige Klamotten salonfähig machte. [Tja, nur unser Thorsten nicht! d. säzzer]

Die Abnabelung von McLaren, der mit seinen rüpeligen Manieren das Vereinigte Königreich schreckte, hat Westwood nur gut getan: Sie stieg auf von der Kostümbildnerin des Punk zur Muse der internationalen Modeszene. Das weltweit einflußreichste Modeblatt, Amerikas Women's Wear Daily, adelte die Westwood jüngst mit nur einem Satz: „Kein Zweifel, sie zählt zu den sechs bedeutendsten Modeschöpfern der Welt.“

Vivienne Westwood hat das Wühlen in ihrer Punk-Vergangenheit satt. „Gehirnkrank waren wir damals“, sagt sie heute. „Wir wollten das Establishment zerstören, aber nichts an dessen Stelle setzen außer unserem ,Fuck up‘.“

Statt dessen redet sie lieber über die Zeit, als Männer Fräcke trugen und Frauen Reifröcke, über die sie Stoffe am laufenden Meter drapierten. Wenn man Vivienne Westwood reden läßt, ohne sie zu unterbrechen, taucht sie ab ins 18. Jahrhundert. Und es ist, als wäre sie in der falschen Zeit geboren. „Aus der Kulturgeschichte extrahiere ich meine Mode.“

Jeden Monat weilt Frau Westwood seit Ende letzten Jahres für maximal drei Tage in Berlin an der Hochschule der Künste (Fachbereich Entwurf und Bekleidungsdesign) und wohnt im Hotel. Sie lehrt 17 handverlesenen Frauen und drei Männern, daß Kreativität allein noch längst keinen Modedesigner ausmacht, sondern Technik, Technik und noch mal Technik. Sie kann es gar nicht oft genug sagen. „Kreativität kann man nicht unterrichten. Entweder man ist es, oder man ist es nicht. Aber Technik läßt sich lehren.“ Technik ist für Westwood die „Manipulation von Material“, und „je mehr man manipuliert, desto stärker entwickelt man eine eigene Form von Technik“.

Noch immer übertrumpft Frau Westwood ihre Eleven an Genialität, was das Outfit betrifft. In England kursiert das Bonmot, alle Engländer laufen so herum, als hätten sie im Dunkeln nach den Klamotten gegriffen. Wenn dem so ist, hat auch bei Westwood an diesem Donnerstag das Licht versagt: an ihren Füßen sechs Zentimeter hohe schwarze Lackleder- Plateauschuhe aus maisgelbem Kork, weiße Strumpfhose, der Micro-Mini endet kurz nach dem Po; er ist kariert in allen Regenbogenfarben. Die Bluse mit dem Siebziger-Jahre-Flügelkragen ist schwarz-rot kariert und hat leuchtend gelbe Knöpfe, darüber eine knallenge braune Strickjacke und am linken Zeigefinger weißer Perlenschmuck, wie ihn Großmütter bevorzugen. Westwoods Studenten versuchen, ihre Dozentin nachzuäffen, aber erfolglos. Die Frau lebt ihren Stil, er paßt zu ihr wie die Tasse Tee um 17 Uhr. Und während sie beäugt, was die Studenten in ihrer Abwesenheit geschneidert haben an Fräcken und Röcken, an Kostümen und Korsagen, inhaliert sie tief den Rauch einer filterlosen Gitanes.

Sie lauscht den Erklärungen ihrer Studenten, läßt sie lange reden, ohne zu unterbrechen. Und selbst das miserable Englisch hält sie nicht ab, sich jeden noch so komplizierten Faltenentwurf erklären zu lassen. „Je älter ich werde“, sagt Frau Westwood, „desto konservativer denke ich in puncto Handwerk.“ Westwoods Hände könnten die einer Gärtnerin sein: unter den Nägeln schwarze Ränder, voller Falten die Finger, wie gegerbt, und innen nicht glatt, sondern viel Hornhaut.

Schludereien duldet sie nicht, und ein Entwurf kann noch so ausgeflippt sein: Sitzen muß er.

Und so bestimmt sie weiß, was Mode ausmacht, so diszipliniert ist auch ihr Auftritt als Professorin: die Arme verschränkt, die Brille auf den Nasenflügeln, nie ein Lächeln. Höchstens abends, im Café ,Einstein‘, wenn sie mit ihren StudentInnen was trinken geht und die sich bemühen, in ihrem Londoner Studio einen Praktikumsplatz zu ergattern. Dort arbeiten viele Deutsche und Österreicher für sie, weil „die besser ausgebildet sind“.

Eine besonders ausgeprägte oder innige Beziehung zu Deutschland hat sie, wie so viele Engländer, nicht. „Ich kann vielleicht zehn Wörter auf deutsch“, sagt sie und streicht dabei ihre wasserstoffblonde Bubifrisur glatt. Sie ist frankophil, Yves Saint Laurent ihr Vorbild, wie überhaupt alles Französische. Wenn man ihr anböte, in Frankreich zu unterrichten, würde sie sofort ja sagen: Keine Stadt auf der Welt liebt sie so sehr wie Paris.

Berlin nimmt sie nur en passant wahr. Sie kennt nur die Philharmonie, das Aquarium im Zoo und das Schloß Babelsberg.

Der Ostteil der Stadt macht sie ratlos. Einmal ist sie durch Ostberlin gelaufen und hat sich alte, verfallene Treppenhäuser angeguckt. „Da habe ich mir vorgestellt, wie Kinder hier vor dem Krieg gespielt haben. Heute spielen gar keine Kinder mehr da. Ich frage mich, wo die wohl sind.“ Thorsten Schmitz