11% Alkohol, 5% PDS

■ Geschlossenheit auf dem PDS-Parteitag / SED-Ergebnisse für Bundestagskandidaten / Stefan Heym stolperte vom Podest

Nach dem zweitägigen Parteitag der Berliner PDS waren sich alle einig. „Die innerparteilichen Konflikte sind offenbar erst mal gelöst“, sagte Landesvorsitzende Petra Pau (30 Jahre), die als Kandidatin für den Bundestag auf Platz drei der Landesliste gewählt wurde. „Es gibt noch Reste fundamentalistischer Opposition“, meinte die ehemalige Ministerin der DDR- Wenderegierung, Christa Luft (57), die die Landesliste anführt, „aber eben nur Reste.“ In der Tat war am Freitag und Samstag im Konferenzzentrum Hohenschönhausen nichts davon zu bemerken, daß noch vor Wochen die AG Junge Genossen „die Kreise der Greise“ sprengen wollte oder die „Kommunistische Plattform“ (KPF) sich an einem faktischen Unvereinbarkeitsbeschluß mit DKP-Mitgliedern störte.

Der Parteitag, auf dem von 173 rund 130 Delegierte erschienen waren, trat so geschlossen auf, daß die Ergebnisse für die Bundestagskandidaten an damalige DDR- Wahlen erinnerten. Christa Luft wurde mit 95 Prozent der Stimmen auf Platz eins, der Berliner Vorsitzende der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), Manfred Müller (parteilos), mit 98 Prozent aller Stimmen auf Platz zwei gewählt.

Immerhin meldete sich parteiinterne Opposition bei der Diskussion um die Wahlaussagen („Für ein Berlin der Menschen, nicht der Macht“) zu Wort. Ein Delegierter bemängelte die Formulierung „in Berlin droht die Diktatur des Autos“, wo doch schließlich die viel schlimmere „Diktatur des Finanzkapitals“ längst bestünde. Ein anderer Delegierter wollte im Kapitel „Umgang mit unserer Geschichte“ den Satz gestrichen wissen, daß „vor allem wir scharfe Kritik am System von Macht, Herrschaft und Unterdrückung, an Erniedrigung, Anpassung und Unterordnung üben müssen“.

Während parteiinterne Opposition also kaum zu spüren war, fehlte wenigstens der Begriff Opposition in keiner Rede. Der Chef der Bundestagsgruppe der PDS, Gregor Gysi, zum offenbar bis zum Parteitag strittigen Begriff: „Wer was verändern will, muß rein“ – in den Bundestag. Im Zweifelsfall komme es nicht darauf an, wer regiert, sondern wer „die Fragen in der Gesellschaft aufwirft“. Und „an die Adresse der jungen Genossen“ sagte Gysi: „Außerparlamentarische Bewegungen lassen sich nicht erzwingen.“

Gysi tritt sowohl als Direktkandidat in Berlin als auch auf dem ersten Platz der Landesliste des nordrhein-westfälischen Landesverbandes an, die im April beschlossen wird. Im Wahlkreis Marzahn/Hellersdorf hatte Gysi 1990 sein jetziges Direktmandat gewonnen. In NRW wolle er signalisieren, daß die PDS auch die Interessen der Westdeutschen vertrete.

Als Direktkandidat für den Wahlkreis Mitte/Prenzlauer Berg wurde der Schriftsteller Stefan Heym (parteilos) nominiert. Dem 81jährigen, der gegen Wolfgang Thierse (SPD) antritt, werden reelle Chancen eingeräumt. Bei seinem Einzug in den Bundestag würde er Alterspräsident werden. Im Gegensatz zu Gysi, der seine Rede nur stichwortartig vorbereitet hatte, las Heym sein Manuskript ab, was den Applaus nicht minderte. Als er das Rednerpult nach seinem Satz „Ein Land, in dem wieder Synagogen angezündet werden, möchte ich verhüten helfen“ verließ, fing eine Helferin den Redner geistesgegenwärtig auf – Heym stolperte vom Rednerpodest.

Die PDS will in Berlin mehr als zehn Prozent der Stimmen und drei Direktmandate holen. Für das bundesweite Ergebnis sind die Schätzungen zurückhaltender. Im Foyer des Konferenzzentrums stand auf Weinflaschen: Elf Prozent Alkohol, fünf Prozent PDS. Dirk Wildt