Krebstherapie unter Beschuß

■ Eine uferlose Diagnostik treibt die Kosten in die Höhe

Da läuft den Medizinern ein Schauer über den Rücken: Ihre Arbeit soll jetzt nicht nur auf Qualität, sondern auch auf die Relation zwischen Kosten und Nutzen hin unter die Lupe genommen werden. Die Kliniken sollen in freiwilliger Kleinarbeit die eigenen Schwachstellen in der Patientenversorgung aufspüren. Augenblicklich kann die Entscheidung für ein bestimmtes Krankenhaus zur Überlebensfrage werden. Der Heidelberger Chirurg Christian Herfarth hat nachgewiesen, daß Darmkrebspatienten abhängig vom Operationsteam den Eingriff in einigen Kliniken mit vierzigprozentiger Wahrscheinlichkeit um drei Jahre überleben. In anderen Häusern beträgt die Chance nur zwanzig Prozent. Diese erheblichen Diskrepanzen hat Herfarth auf dem jüngsten Deutschen Krebskongreß in Hamburg vorgestellt.

Für die vergleichende Untersuchung wurden Daten aus mehreren Kliniken herangezogen. Die Deutsche Krebsgesellschaft bastelt seit Jahren an der Etablierung von Qualitätsstandards in der Onkologie. Die Checklisten sollen am Ende sowohl für die Diagnostik als auch für die Therapie bundeseinheitlich sein – die Zustimmung der Länderärztekammern vorausgesetzt. Der letzte Wissensstand soll auf diese Weise in die Routine überführt werden. Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie hat beispielsweise vor vier Jahren Standardrichtlinien herausgegeben, die bösartige Krebsgeschwüre betreffen. 22 maligne Tumoren wurden bisher erfaßt. Für die Entwicklung derartiger Profile müssen etliche Steine aus dem Weg geräumt werden: Die Kliniken müssen ihre Arbeit anhand von Behandlungsprotokollen dokumentieren, aus denen sich im Vergleich mit anderen Krankenhäusern ein Konsens herausfiltern läßt. Allzu begeistert lassen sich die Ärzte dennoch nicht in die Karten schauen. Viele Kongreßteilnehmer zeigten kein Interesse daran, den Ruf der eigenen Abteilung durch vergleichende Untersuchungen aufs Spiel zu setzen oder gravierende Fälle in Zukunft routinemäßig etwa an die Unikliniken zu überweisen. Ein Molekularbiologe der Deutschen Krebsgesellschaft entwarf für sie ein Zukunftsszenario: „Ich halte es für möglich, daß der einsetzende Wettbewerb dazu führen wird, daß die Kassen, wenn nicht ganze Krankenhäuser, dann zumindest einzelne Stationen wegen fehlender Standards schließen werden“, so Erich Enkhofer aus München. Enkhofer stellte den murrenden Kollegen seine Qualitätsdefinition vor. Demnach ließe sich die Güteklasse einer Behandlung an drei Punkten bestimmen: Der Klinikausstattung, der Diagnostik und Therapie sowie am Behandlungsergebnis, das nach kurzer Zeit und nach einem längeren Zeitraum untersucht werden müßte. Das Budget für den Behandlungserfolg habe eine klare Grenze – die unumstößliche Beitragsstabilität im Gesundheitswesen, so Enkhofer. An die Frage der Qualitätssicherung schließt sich nahezu lückenlos die Suche nach einer Kosten-Nutzen-Relation an. Strahlentherapeut Horst Sack (Essen): „Wir müssen darüber nachdenken, ob alles, was den Ärzten realisierbar erscheint, auch dem Patienten nützt.“ Der Nürnberger Onkologe Walter Gallmeier ist davon überzeugt, daß es eine nicht geringe Anzahl überflüssiger Anwendungen gibt. Dazu zählt beispielsweise eine uferlose Diagnostik bei der Krebsnachsorge. Oft werden Tochtergeschwülste mit großem Aufwand drei Wochen eher entdeckt als früher. „Wir müssen den Patienten dann nur leider sagen, daß es keine erfolgversprechende Behandlungsmöglichkeit für die Metastase gibt.“ Ähnliches gelte für die sogenannten Tumormarker, krebsspezifische Antigene, die im Blut nachweisbar sind. „Manche Patienten widmen sich nicht mehr dem Heilungsprozeß, sondern starren gebannt auf die Tumormarkerwerte, aus denen sie die Wahrscheinlichkeit für ein Rezidiv herauszulesen versuchen“, so Gallmeier. Trotz der Datensammelwut der Mediziner gibt es bisher keine nennenswerten Ansätze für eine Kosten-Nutzen-Analyse in der Medizin. Hier und da werden negative Beispiele zusammengetragen, wie der Operationstourismus in die USA. Da werden bestimmte Krebsarten in Seattle für 30.000 Mark pro Patient behandelt, die längst auch in Deutschland operiert werden können (für etwa 5.000 Mark) und die Kassen müssen zahlen. Andersherum macht es durchaus Sinn, einen Jungen zur Bestrahlung seines Augentumors nach Nizza zu schicken, weil dort das modernste erreichbare Gerät steht. Die bisher bekannten Modelle für eine Kosten-Nutzen-Rechnung gehen von unterschiedlichen Schwerpunkten aus. Da wird die reine Kostenersparnis gewertet oder die Gesundheitsverbesserung aus Sicht des Arztes. Seltener wird die Meßlatte an der Lebensqualität des Krebskranken angelegt, der etwa nach einer wegen eines Leberkarzinoms indizierten Lebertransplantation monatelang im Krankenhaus liegt. Nur in wenigen Fällen können die Patienten die durch die Mammutoperation gewonnene Lebenszeit nach der anschließenden Chemotherapie außerhalb der Klinik verbringen. Lisa Schönemann