Viele Worte, wenig Taten

■ Nach dem Lübecker Anschlag protestierten nur ein paar tausend Menschen / Täter noch unbekannt

Berlin/Lübeck (taz/dpa) – Obwohl es sich bei dem Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge um den ersten Angriff auf ein jüdisches Gotteshaus seit der Befreiung vom Nationalsozialismus handelte, blieben die Protestaktionen am Wochenende auf wenige Städte beschränkt. Gleichzeitig fühlten sich zahlreiche Politiker aufgerufen, den Anschlag zu verdammen. Der für das internationale Image Deutschlands von Amts wegen zuständige Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) beklagte, daß in der öffentlichen Meinung im Ausland die Anschläge von Rechtsradikalen leider so wirkten, „als gebe es eine breite rechtsradikale und antisemitische Strömung in der Bundesrepublik“. Die Anschläge von Mölln, Solingen und Sachsenhausen seien in der Welt noch nicht vergessen. „Deswegen ist es so wichtig, daß wir Deutschen zum Beispiel mit Lichterketten, Demonstrationen, ausländerfreundlichem Verhalten deutliche Zeichen gegen Ausländerfeindlichkeit setzen.“ Während die Bundesanwaltschaft noch über keine konkreten Hinweise auf die Täter verfügte, war die Bereitschaft, sich an Kinkels Imagekampagne zu beteiligen, allerdings gering. In Lübeck demonstrierten am Wochenende rund fünftausend Menschen mit einem Trauermarsch, einer Kundgebung und Mahnwachen gegen den Brandanschlag (ausführlicher Bericht auf Seite 5). In Berlin versammelten sich rund tausend Menschen am Jüdischen Gemeindehaus zu einer „Mahn-Viertelstunde“. Anschließend zogen sie in einem Schweigemarsch zum Brandenburger Tor. In Heidelberg kamen mehrere hundert Menschen zu Schweigeminuten vor der Synagoge zusammen. In Dessau, Sachsen- Anhalt, legten rund 150 Menschen Schweigeminuten ein. In Magdeburg rief unter anderen der Oberbürgermeister Willi Polte dazu auf, heute um 18 Uhr am Mahnmahl für die 1938 niedergebrannte Synagoge Blumen niederzulegen.

Die Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) forderte die Bürger in einem n-tv-Interview auf, „klare Zeichen“ gegen jede Form von Gewalt zu setzen. Der Brandanschlag in Lübeck müsse als „Mordanschlag“ gesehen werden, „denn über der Synagoge wohnen Menschen“, betonte sie. Neben allen polizeilichen Maßnahmen sei die Ächtung durch die Bevölkerung das wichtigste Signal gegen Gewaltaktionen.

Auch der SPD-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Rudolf Scharping forderte die demokratischen Parteien auf, in der Bekämpfung des politischen Radikalismus zusammenzustehen. „Wir brauchen ein Klima, und dazu müssen die Parteien beitragen, in dem jeder Haß, jede Fremdenfeindlichkeit, jede Gewalttätigkeit wegen unterschiedlicher Hautfarbe, unterschiedlicher Religion, unterschiedlicher politischer Überzeugung, gesellschaftlich geächtet wird“, sagte er in einem Interview.

Der Vorstandssprecher von Bündnis 90/Grünen, Ludger Volmer, äußerte in einem Brief an den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, Abscheu und Empörung über den Brandanschlag von Lübeck. Volmer fragte, ob es ein Zufall sei, daß die Tat „wenige Tage nach dem skandalösen höchstrichterlichen Urteil über die ,Auschwitz-Lüge‘ geschah“. Der Brand der Synagoge müsse eine entschlossene Antwort der ganzen Gesellschaft finden. „Mit den Nazis kann nicht therapeutisch-verharmlosend umgegangen werden.“ Die zivile Gesellschaft müsse einsehen, daß sie Feinde habe, die wie Feinde behandelt werden müßten. „Sie müssen geächtet und aus dem gesellschaftlichen Leben ausgestoßen werden“, forderte Volmer.

In einer Erklärung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann, heißt es: „Der Anschlag beschwört die Schatten der Vergangenheit und ruft Abscheu und Entsetzen hervor.“ Auch die evangelische Bischöfin Maria Jepsen hatte auf der Kundgebung in Lübeck vor dem Rechtsradikalismus gewarnt: „Die böse Saat verteilt sich immer weiter und weht über unser Land.“

Schönhuber nennt Bubis „Volksverhetzer“

Lediglich der Chef der rechtsradikalen „Republikaner“ verweigerte eine Solidaritätsbekundung mit den deutschen Juden. Franz Schönhuber bezichtigte laut dpa den Zentralratsvorsitzenden Ignatz Bubis vielmehr der „Volksverhetzung“. „Derjenige, der in Deutschland für den Antisemitismus sorgt, ist der Herr Bubis“, behauptete Schönhuber in Erding bei München. Seiten 5 und 10