Die Risse in der Schweigemauer

■ Unruhe im SPD-Politfilz / Beginnt bald das Großreinemachen? Von Florian Marten

Die Filz-Affäre um den Stahlmagnaten und Sozialdemokraten Gerd Gustav Weiland, der nicht zuletzt dank staatlich verbürgter Landesbankkredite zum Großindustriellen aufstieg, könnte, so meinen nicht wenige intime KennerInnen der Hamburger Politszene, erst der Beginn eines mehrjährigen politischen Orkans sein, welcher den Hamburger Filz von SPD, CDU, FDP, Staatsunternehmen und öffentlicher Verwaltung schon bald in seinen Grundfesten erschüttern dürfte.

Nachdem die Führungsclique der politischen Erben des Hamburger Wachstums-Bürgermeisters Herbert Weichmann jahrzehntelang dicht- und zusammenhielt, mehren sich jetzt die Anzeichen, daß vereinzelt schon mit gezielten Indiskretionen gegen die Kumpel von einst vorgegangen wird. So waren die medialen Attacken auf die graue SPD-Eminenz Gerd Weiland, die diesen zur Aufgabe des wichtigen Haushaltsausschußvorsitzes zwangen, erkennbar durch Spezialinformationen der obersten Insider-Ebene gespeist. Manche Rathausdechiffrierer kolportieren denn auch mit dem Brustton der Überzeugung, Voscherau habe sich eines für ihn inzwischen potentiell gefährlichen Weggefährten elegant entledigen wollen, um nicht dereinst selbst im Sumpf der Filzbewältigung unterzugehen.

Einmal hat Voscherau mit dieser Taktik bereits Erfolg gehabt: Als öffentliche Empörung die zwischen CDU und SPD längst abgekasperte Diäten-Erhöhung zu Fall brachte, stoppte der Stadtchef mit großer Geste sowohl das Diäten-Plus als auch rückwirkend das noch von ihm als Fraktionschef geräuschlos durchgepeitschte Senatorenversorgungswerk, an dessen Segnungen sich die parlamentarischen Diätenfreunde gutgläubig orientiert hatten. Der Krug könnte jedoch, so flüstern Spötter, bald lange genug zum Brunnen getragen worden sein. Kenner der Hamburger Szene halten ein Menetekel für durchaus möglich, sofern die Voraussetzungen stimmen: 1) Zerstrittene Führungsspitze: Der Mörtel im Zement der Wandsbek-Connection, die einst fest gezimmerte Trutzburg reaktionären Sozi-Filzes, ist schon mächtig aufgeweicht. Die Kumpel von einst sind heute teils verbitterte Einzelkämpfer: Henning Voscherau – ein einsamer Bürgermeister; Alfons Pawelczyk – ein einsamer Daimler-Lobbyist; Peter Zumkley – ein gescheiterter Senator und Kreisvorsitzender, jetzt als Bonn-Pensionist abgefunden; Gerd Gustav Weiland – geschaßte graue Polit-Eminenz; Volker Lange – frankophiler Geschäftsmann mit scharfem Blick auf den eigenen Vorteil und catch-as-catch-can-Qualitäten.

2) Ein stattlicher Vorrat an politischen Leichen in diversen Kellern: An Machterhalt und der Verbindung des Nützlichem mit dem sehr Nützlichen (Politik und Geschäft) war und ist Hamburgs Sozis traditionell sehr gelegen. Unklar ist jedoch bis heute, welche Dimension die jeweiligen Geschäfte hatten. Zwischen legal und illegal, moralisch fragwürdig und strafrechtlich relevant liegt eine breite Grauzone. Licht über die bisher bekannten Postenschiebereien und Deals (Neue Heimat, Saga, Stahlwerke, Bushäuschen, Kehrwiederspitze, Müll ...) hinaus kann hier wohl nur ein Outing echter Mitwisser bringen.

Sind auch die Leichen im einzelnen noch nicht bekannt – die Keller, in denen zu graben wäre, können Insider schon heute nennen: Immobiliengeschäfte, Umweltskandale im Hafen, Postenschiebereien in Verwaltung und Staatsunternehmen, Müllgeschäfte mit der Deponie Schönberg (Hamburg ist seit Jahren der größte und lukrativste Kunde), Verbindungen von Anwaltsgeschäften, Politik und Geschäft, Gewährung von Zuschüssen etc. für private Einrichtungen (gerade auch im Sozialbereich) ....

3) Unerschrockene Medien: Hier haben es Hamburgs Amigos gut. Trotz einiger Lockerungsübungen seit der Diäten-Affäre hält die informelle Bindung zwischen den Springermedien, Rechts-SPD und den Filzprofiteuren der CDU allen Anfechtungen stand. Die traditionell SPD-hörige „Morgenpost“ tut sich nach wie vor schwer, den Kampf gegen den Filz mit Konsequenz und Schmackes anzugehen. Der NDR, in seiner stadtpolitischen Bedeutung im Abwind, ist seit jeher staatsfunkmäßig drauf und kann von seinem Selbstverständnis her schon nicht den Drachentöter spielen. Auffällig ist auch die traditionelle Zurückhaltung der Politiker-Killer vom „Spiegel“, deren Recherche-Trupps und Informantenhonorare zwar Ministerpräsidenten-Stühle zwischen Schlei, Saar, Neckar und Isar wackeln lassen, den Nachtschlaf Hamburger Spitzenpolitiker jedoch offenkundig für unantastbar halten.

4) Wind of change: In Hamburg fehlen – Ausnahme die Grünen und Robert Vogel – politisch potente Alternativen zur Staatspartei SPD. In jahrzehntelanger Politik ist es führenden Sozialdemokraten gelungen, weite Teile von CDU und FDP in das Netzwerk von Pöstchen und Gefälligkeiten einzubinden.

Kein Wunder also, daß der alten SPD-Garde nur vor zwei „Staatsfeinden“ bange ist: Vor den noch nicht in Machtstukturen eingebundenen Grünen und vor Robert Vogel. Letzterer gilt als unbestechlich. Kein Wunder, er ist schließlich Immobilien-Milliardär.