„Kurden-Abschiebung ist absurd“

■ Ausländerbeauftragte Dagmar Lill fordert scharfes Waffenembargo nach Kurdistan-Reise

„Das geplante Kurdenabschiebeabkommen zwischen der Bundesregierung und der Türkei ist absurd und geradezu zynisch.“ Starke Worte suchte die Bremer Ausländerbeauftragte Dagmar Lill (SPD), soeben von einer Beobachtungsreise aus der Türkei zurückgekehrt, gestern auf ihrer Pressekonferenz. „Alle Delegationsmitglieder waren entsetzt, als wir von den gewalttätigen Aktionen der PKK in Deutschland hörten. Das behindert die politische Lösung des Kurdenproblems“, sagte Lill.

Auch die Bremer SPD-Bürgerschaftsfraktion und Ausländersenatorin Helga Trüpel (Grüne) forderten die Kurden in Deutschland gestern erneut auf, friedlich zu demonstrieren. Lill: „Aber ein Auslieferungsabkommen, das Folterungen und Todesstrafe auschließen soll, ist wertlos.“ Die Kurden drohe nach ihrer Abschiebung in die Türkei die Verschleppung durch „halbstaatliche Organisationen“, ohne daß nachvollzogen werden könnte, von wem oder wohin. „Anstatt diese unglaubliche Diskussion zu führen, sollte die Bundesregierung endlich Druck auf die Türkei ausüben, ein Waffenembargo durchsetzen und wirtschaftliche Hilfe nur unter strengen Auflagen gewähren.“ So müsse sichergestellt werden, daß die kurdischen Gebiete beschäftigungspolitisch und ökonomisch unterstützt werden.

Lill gehörte zu einer vierköpfigen Bremer Delegation, die im Auftrag der Friedensnetzwerk Kooperative, Bonn, vom 18. bis 25. März nach Ankara und in die Provinz Diyarbakir nach Kurdistan gereist war. Anlaß waren die Newroz-Feierlichkeiten am 21. März. Lill: „Nach unserer Beobachtung hat das Neujahrsfest nicht stattgefunden.“ Im Vorfeld hatte die PKK die Bevölkerung in Nord-West-Kurdistan aufgerufen, während der Feierlichkeiten in ihren Häusern zu bleiben, um Eskalationen mit dem türkischen Militär aus dem Weg zu gehen.

„In Diyarbakir und den umliegenden Dörfern hatten sich die Menschen in ihren Häusern verbarrikadiert. Die Atmosphäre war gespenstisch: die Straßen menschenleer, die Häuser zerstört und die Dörfer von der Außenwelt abgeriegelt“, so Lill. Die Delegation hätte während ihrer Reise nur unter erschwerten Bedingungen mit Menschen auf der Straße sprechen können. Ansonsten hätte es nur offizielle Treffen mit „handverlesenen Einzelpersonen“ gegeben. Das Straßenbild sei – entgegen anderen Berichten – eher nicht vom Militär geprägt gewesen. Die türkische Regierung hätte dagegen auf zivile Überwachung durch Armee, Geheimdienst und Polizei gesetzt. Die Stimmung sei geprägt von Mißtrauen und Angst. „Jeder, mit dem ich gesprochen habe, ist schon mal verhört oder verhaftet worden.“ Fahrten ins Umland seien, wenn überhaupt, nur unter strengsten Sicherheitskontrollen möglich gewesen. Die Gruppe sei regelmäßig von zwei Panzern aus NVA-Beständen und einem Mannschaftswagen begleitet worden.

Aber die politischen Debatten mit dem Militär hätten sich geändert, sagt Lill, die vor vier Jahren schon mal an einer Beobachtungsreise nach Kurdistan teilgenommen hat. Die jungen Offiziere befänden sich unter „Rechtfertigungsdruck“. Wenn früher die stereotype Antwort gekommen sei: „Es gibt kein Kurdenproblem“, würde heute eingeräumt, daß Waffen „zum Schutz der Dorfbevölkerung“ eingesetzt werden. Auch, daß es dann und wann Unbeteiligte treffe, sei eben nicht auszuschließen.

Davon konnte sich die Bremer Delegation, neben Lill die ehemaligen grünen Bürgerschafts-Abgeordneten Uwe Helmke und Paul Tiefenbach sowie Uwe Strohbach, mit eigenen Augen überzeugen. Lill: „Wir waren mit einem Taxi unterwegs, als wir an der Tigris-Brücke Zeugen einer Schießerei wurden. Einige flüchteten, andere wurden verhaftet und zusammengeschlagen. Wir mußten weiterfahren, um das Leben unseres kurdischen Chauffeurs nicht zu gefährden.“

Auf die Frage, welchen Sinn Delegationsreisen machen, wenn sich an den Repressionen, die die Bevölkerung zu erleiden hat, nichts ändert, antwortete Lill: „Eine politische Lösung kann überhaupt nur gefunden werden, wenn reges internationales Interesse bekundet wird und starke Medienpräsenz vor Ort ist.“ tt