: Autos überrollen die Straßenbahn
■ Freie Fahrt für PKW ab Herbst über die Oberbaumbrücke / Verkehrsexperte: „Konzept zwischen Senat und Bahn fehlt“
Der Autostau ist der Oberbaumbrücke ein Stück näher gerückt. Nachdem die „Sicherungsarbeiten“ eine Lücke in die Verbindung zwischen Kreuzberg und Friedrichshain gerissen haben, beginnt ab heute der Wiederaufbau des 150 Meter langen Viadukts über die Spree. Zunächst ist geplant, das Brückenfeld am Friedrichshainer Ufer zu betonieren. In rund vier Wochen soll das Randfeld auf der Kreuzberger Seite gegossen werden. „Die Inbetriebnahme der Straßenbrücke mit fünf Fahrbahnen kann im Oktober dieses Jahres erfolgen“, sagte Bausenator Wolfgang Nagel gestern. Das neue Mittelstück werde nach dem Konzept des spanischen Architekten Santiago Calatrava realisiert. Calatrava entwarf für das 1894 erbaute neogotische Wassertor einen kühnen Stahlbogen, über den die U-Bahn-Linie 1 fahren soll.
Von Kreuzberg in Richtung Friedrichshain sollen zwei eigens markierte Fahrspuren für Kraftfahrzeuge sowie ein Straßenbahngleis führen. Aus dem Osten dagegen dürfen sich die Autofahrer nur auf einer Auto- und der zweiten Tramspur quälen. „Die Trambahn erhält keinen eigens herausgehobenen Gleiskörper“, betonte Johannes Lietz, Brückenbauer in der Senatsbauverwaltung. Der Instandsetzung der Straße und dem Aufbau der kastrierten Türme für 72 Millionen Mark folge bis zum Herbst 1995 die Modernisierung der U-Bahn-Linie 1, sagte der Bausenator. Die neue Hochbahn vom Schlesischen Tor bis zur Warschauer Brücke koste zusätzlich 170 Millionen Mark.
Eindeutige Verlierer dieser Konzeption sind die Fußgänger, Radfahrer und Trambahnfahrer, wie eine Anwohnerin gestern zur taz sagte. „Der Gewinner sind der KFZ-Verkehr und das Verkehrskonzept des kleinen Hundekopfs.“ Die Fuß- und Radwege seien auf einen minimalen Querschnitt zusammengestrichen worden, die Straßenbahn müsse sich eine Strecke mit dem Autoverkehr teilen. Zugleich werde mit 60.000 Fahrten pro Tag KFZ-Verkehr „massiv“ in den Kiez geführt. Der Streit um die Oberbaumbrücke ist juristisch trotzdem noch nicht beendet: Zwar wurden vom Verwaltungsgericht und kürzlich vom Oberverwaltungsgericht der von Anwohnern erstrittene Baustopp abgelehnt. Gegen diesen Bescheid beantragten allerdings die Protestler eine einstweilige Verfügung.
Es ist augenscheinlich, daß das ÖPNV-Konzept als Alibi für die Autoverkehrsstraßen herhalten muß. Zwar werden Trambahnschienen gelegt, nicht klar jedoch ist, ob jemals eine Straßenbahn über die Brücke fahren kann. Dazu müßten, wie Verkehrssprecher Tomas Spahn bestätigte, erst die Verbindung und „eine zweite Brücke an der Warschauer Straße gebaut werden“. Die bestehende Brücke sei nicht in der Lage, die Tram zu tragen. Aus den gleichen Gründen könnte die U-Bahn nur bis zur Warschauer Brücke fahren. Spahn: „Ein Gesamtkonzept zwischen Senat und der Bahn AG steht noch aus.“ Rolf Lautenschläger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen