Die Jünger glauben wieder

■ Dank Michael Stichs geschickter Vorbereitung – er verlor gegen Thomas Muster – durfte Marc-Kevin Goellner die seither bedeutungslose Davis-Cup-Rolle ablegen

Berlin (taz) – Sonntag um 22.05 Uhr stand fest, Titelverteidiger Deutschland hatte sich ins Davis- Cup-Viertelfinale geackert und trifft Mitte Juli – vermutlich in Halle auf Rasen – auf die eingefleischten Sandhasen aus Spanien. Michael Stich hat es Marc-Kevin Goellner zu verdanken, daß er nicht gewohntermaßen in einem bedeutungslosen fünften Match ein unbedeutendes Pünktchen beifügen mußte. Michael Stich unterlag nach fünfeinhalb Stunden Austrias Bestem (4:6, 7:6 (10:8), 6:4, 3:6, 10:12), stellte sich einen Stuhl in die Dusche, worauf er seine geschundene Seele von Wasser reinwaschen ließ: „Meine ehrliche Meinung über das Publikum sage ich lieber nicht.“ – Ein Bild des Jammerns unter der Brause. Und vermutlich jammerte die Psyche weiter, allein wegen der Vorstellung, daß nun Marc-Kevin, der von sich behauptet, er umgebe sich zuvörderst mit Leuten, die auch fest an ihn glauben, in der ach so garstigen Schwarzl-Halle die Kastanien aus dem Feuer holen sollte. Auch waren die Goellner-Gläubigen längst abtrünnig geworden. Spätestens seit der Jüngling seinen Jüngern nach der freitäglichen Niederlage gegen Thomas Muster verheißen hatte, „ich ziehe mein Selbstvertrauen nicht aus meinem Tennisspiel“, mußten auch die treuesten Adepten realisiert haben, daß dem allseitigen Immerfort- Lächler, rein sportlich gesehen, viel von seinem zarten Glanz („Baby Bum-Bum“), der sich lediglich aus dem Nicoiser Turniersieg im Vorjahr speiste, abgeblättert war. Hernach in 15 Turnieren 13mal am Auftaktgegner gescheitert. Wen kümmert's? Goellner nicht. Er tat, was er am besten konnte – lachen. Verfuhr nach dem Motto, nachdem er immer verfährt – „think positiv“. Und haute drauf. Er agierte lässig, Horst Skoff angestrengt motiviert. Für beide ging es um mehr, als einen Sieg fürs jeweilige Team herauszuspielen. Es ging um die Reputation, oder das, was davon noch übrig geblieben war.

Horst Skoff durfte sich als Österreichs Nummer zwei gerieren, obwohl der vierte Mann, Gilbert Schaller, nominell weit besser plaziert ist als der Weltranglisten-94. Seinen Start habe er sich als Klausel im Friedensvertrag mit Ex-Feind Muster ausbedungen. Wiedergutmachung für sein persönliches Debakel, erlitten vor vier Jahren im Wiener Praterstadion, als er es wie nun auch auf dem Schläger hatte, Austria weiterzuverhelfen. „Rehabilitierung“, lechzte der 25jährige, der eigens für den Davis-Cup sieben Kilo abgespeckt hatte und strebsam erzählte, er habe „seine Hausaufgaben peinlichst genau gemacht“.

Nach korrekter Joberfüllung seinerseits sah es aus. Anfänglich. Skoff prustete wie eine Lok, ackerte, wuselte, führte schnurstracks 3:0. Obwohl seine Grundlinienschläge viel zu kurz bemessen waren. Obwohl sein einziger wirklich erfolgsversprechender Schlag die extreme Vorhand Cross war. Macht nichts. Smiling Marc-Kevin, der sich stets wünscht, die Leute mögen in ihm den „Lausbub“ sehen, „der auf den Platz trümmert, als wär's sein letzter Schlag“, trümmerte dergestalt, als ob es nichts zu gewinnen gab. Lässig, cool, zentimeterweise ins Aus – 3:6. „Hoffen auf Goellner“ (dpa)? Niki Pilic schien seine zweite Wahl aufzugeben. Apathisch registrierte der „Preuße vom Balkan“ dessen hartnäckige Nonchalance. Wo er ihm doch im Training die Quintessenz aus seinen zwölf langen Jahren als Teamkapitän sorgsam eingeträufelt hatte!: „Du machen Break, dann du gewinnen Match.“ (Bild) Alles für die Katz.

Denkste, Goellner fing sich, dank seiner ihm angeborenen Penetranz. Dem höhenfluguntauglichen Skoff (er hatte sich vom 60 km entfernten Hotel nicht per Hubschrauber sondern via Verhikel befördern lassen) unterliefen nun die Fehler. Nach zwei Stunden 35 Minuten war die „Sternstunde“ (dpa) ausgestrahlt (3:6, 6:4, 7:5, 6:1), und Goellner, der so gerne nach den Sternen greift, durfte die Treulosen maßregeln: „Daß ich den Herren der Presse zeigen konnte, daß ich auch unter solchen Umständen gewinnen kann!“ Wie schön! Die Herren haben ihre Lektion schnell gelernt. „Goellner der Held“, schleimte Bild am Montag. Horst Skoff blieb die bereits einmal vorbildlich interpretierte Rolle des „tragischen Helden“. Cornelia Heim