■ Die letzten westlichen Blauhelme haben am Wochenende Somalia verlassen – nun muß die Bilanz gezogen werden
: Arrogant, naiv und ignorant

Selbst die eifrigsten Befürworter der ausländischen Militärintervention in Somalia räumen heute ein, daß die Mission der Vereinten Nationen in dem Bürgerkriegsland wenigstens teilweise gescheitert ist. Nichts hat sich in Somalia seit der Ankunft der ersten US-Truppen im Dezember 1992 grundsätzlich geändert: Die Bürgerkriegsfraktionen sind nicht entwaffnet worden. Der Machtkampf um die strategisch und wirtschaftlich bedeutendsten Orte ist trotz des gestern für die südsomalische Hafenstadt Kismayo vereinbarten Waffenstillstandes nicht entschieden. Nach wie vor gibt es in Somalia so gut wie keine Industrieproduktion, liegen ehemals landwirtschaftlich genutzte Gebiete brach, sind alte Handelswege aus Sicherheitsgründen nicht passierbar.

Eine spektakuläre Versöhnungszeremonie von Repräsentanten fünfzehn verschiedener Bürgerkriegsfraktionen unter Schirmherrschaft der UNO vergangene Woche in Nairobi löste bei den meisten Beobachtern Skepsis aus: Allzu offenkundig war der Wunsch der Vereinten Nationen, unmittelbar vor Abzug der letzten Truppenkontingente westlicher Industrieländer aus Somalia doch noch einen politischen Erfolg vorweisen zu können. Die Kriegsfürsten hatten keinen Grund, sich dem Treffen zu entziehen, bot es ihnen doch Gelegenheit, ihren Friedenswillen wohlfeil zu bekunden, ohne daß ihnen in irgendeiner konkreten strittigen Frage Zugeständnisse abgerungen worden wären.

Befürworter der Militärintervention in Somalia behaupten gerne, daß es die ausländischen Truppen immerhin geschafft hätten, die verheerende Hungersnot, die allein in Mogadischu täglich bis zu 200 Kinder hinweggerafft hatte, zu besiegen. Dieses Argument verdient, näher beleuchtet zu werden.

Vor Ankunft der ausländischen Truppen hatte das Internationale Rote Kreuz, unterstützt von einigen nichtstaatlichen Organisationen, monatelang fast alleine den Kampf gegen den Hunger geführt. Mit bemerkenswertem Erfolg: Als die ersten US-Soldaten in Mogadischu landeten, war es bereits gelungen, mit einem Ring von Garküchen um die Städte in den besonders schwer betroffenen Regionen den weiteren Zustrom von Flüchtlingen in die Ballungszentren einzudämmen. Die übergroße Mehrheit der Hilfesuchenden konnte mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Der Zenit der Not war vor Ankunft der ausländischen Militärs überschritten.

Dennoch ist wahr: Ein großer Teil der Hilfsgüter wurde vor der ausländischen Intervention regelmäßig geplündert. Der bewaffnete Begleitschutz ausländischer Militärs für die Konvois hat Menschenleben gerettet, weil die Hilfe nun schneller und effizienter zu den Notleidenden gebracht werden konnte.

Aber genau dieselben Männer, Frauen und Kinder, die damals vom Hungertod bedroht waren, schweben noch immer in tödlicher Gefahr. In weiten Teilen Somalias herrscht Dürre. Bewässerungssysteme sind vom Krieg zerstört worden, Bauern haben Werkzeuge und Saatgut verloren. Die landwirtschaftliche Produktion konnte bisher nur zu einem ganz geringen Teil wieder angekurbelt werden. Die Folge: In einzelnen Regionen des Landes sind Angaben von Hilfsorganisationen zufolge heute wieder bis zu 20 Prozent der Bevölkerung unterernährt. Das Bild vom Verdurstenden in der Wüste drängt sich auf, dem ein Glas Wasser gereicht, aber nicht der Weg zum Brunnen gezeigt wird.

Die Sicherheitslage hat sich nicht gebessert: Das Welternährungsprogramm WFP, eine UN- Organisation, kann nur noch wenige Konvois ins Landesinnere schicken, weil – so WFP-Mitarbeiter – die UNO nur noch unregelmäßig bewaffnete Eskorten stellt. Ohne Begleitschutz aber werden die Hilfsgüter wie eh und je geplündert. Alles wie gehabt.

Die Entwicklung war vorhersehbar. Eine gefährliche Mischung aus Arroganz, Naivität und Ignoranz hat die meisten US-Repräsentanten und Vertreter der Vereinten Nationen glauben lassen, auf landesspezifische Besonderheiten in Somalia keine Rücksicht nehmen zu müssen. Hunger läßt sich durch Essen beseitigen – mehr, so scheint es, wurde an Kenntnissen für die Operation in Somalia nicht verlangt. In der schlichten Weltsicht war keine Platz für zwei zentrale Fragen: Wer hungerte? Warum wurde gehungert?

Einer der UNO-Berater war der Brite John Drysdale, einst Kolonialbeamter in Somalia, nach der Unabhängigkeit dann Mitarbeiter mehrerer somalischer Premierminister. Er zog sich nach einigen Monaten resigniert zurück: Die UN-Vertreter wüßten sehr wenig von Somalia, so erklärte er, und er habe nicht den Eindruck gewonnen, daß sie mehr über das Land zu lernen wünschten.

Von der Not waren vor allem die schwachen Clans betroffen, die nicht über eigene Streitkräfte verfügten und sich gegen Plünderungen und Vertreibung durch die rivalisierenden Milizen nicht wehren konnten. Ihre Lage ist nicht besser als vor der Militärintervention: Nach wie vor hausen Hunderttausende von Flüchtlingen aus dem Landesinneren unter armseligsten Bedingungen in den Städten. Die Position ihrer Feinde, der Kriegsfürsten, ist durch die UNO unfreiwillig noch gestärkt worden: In Unkenntnis der komplexen gesellschaftlichen Strukturen Somalias wurden vor allem sie und nicht etwa Clanälteste von der UNO als wichtigste Verhandlungspartner betrachtet oder, in einem anderen Fall, durch die Erfolglosigkeit ausländischer Militäraktionen zusätzlich aufgewertet: Farrah Aidid ist von den USA buchstäblich an die Macht zurückgebombt worden, die ihm dank wachsender Kritik aus den eigenen Reihen schon aus den Händen zu gleiten gedroht hatte.

Ohne Landreform, ohne strukturelle Aufbauhilfe, ohne funktionierende staatliche Verwaltung ist die Gefahr neuen Massenelends nicht zu bannen. Die Militärintervention hat die grundsätzlichen Probleme in keiner Weise gelöst – und je länger der Zustand der Gesetzlosigkeit anhält, desto schwerer wird der Weg zurück in eine friedliche Gesellschaft.

Das wenigstens haben die Regierungen der Industrieländer inzwischen begriffen. Sie ziehen sich zurück, die Weltpresse zieht Bilanz. Nur geringe Beachtung findet die Tatsache, daß rund 20.000 Militärs aus Staaten der Dritten Welt noch ein weiteres Jahr in Somalia stationiert sein werden. Sie werden die Probleme nicht lösen können, aber sie helfen den Vereinten Nationen, das Gesicht zu wahren. Soldaten des Südens werden im Auftrag der „Völkergemeinschaft“ Risiken ausgesetzt, die der Norden seinen Armeen nicht mehr zumuten möchte. Ein vertrautes Bild, auch das. Bettina Gaus