Der Krieg wird in die Städte getragen

■ Mindestens 15 Tote bei Demonstration von Zulus vor dem ANC-Hauptquartier in Johannesburg

Johannesburg (taz) – In den Straßenschluchten der Innenstadt von Johannesburg herrschte gestern Bürgerkrieg. Mindestens 15 Menschen wurden bei Schießereien getötet, nachdem sich mehr als zehntausend Zulus am Library Garden im Zentrum der südafrikanischen Millionenstadt versammelt hatten. Sie folgten einem Aufruf der „Indunas“, einer Art Unterhäuptlinge in der Zulu-Stammesstruktur, und demonstrierten für ein unabhängiges Zulu-Königreich in der Provinz Natal und gegen die derzeit geltende Übergangsverfassung. Viele von ihnen waren schwer bewaffnet, mit traditionellen Waffen wie Speeren und Schilden, aber auch mit Schußwaffen. Die meisten Geschäfte und Banken blieben geschlossen, der Verkehr wurde von der Polizei umgeleitet, verschreckte Autofahrer flüchteten in wilder Panik. Über Rundfunk wurden Aufrufe an die Bevölkerung verbreitet, die Innenstadt zu meiden und zu Hause zu bleiben. Nach Angaben des ANC, dessen Hauptquartier in der Innenstadt liegt, versuchten die Zulus – in der Regel Inkatha-Anhänger – am Vormittag, das Gebäude zu stürmen. Bei der folgenden Schießerei zwischen ANC-Sicherheitsleuten und Zulus wurden mindestens acht Menschen getötet und zehn schwer verletzt, nachdem es schon in den frühen Morgenstunden an anderen Orten Schießereien mit Toten und Verletzten gegeben hatte. „ANC-Sicherheitsleute gaben Warnschüsse in die Luft ab“, erklärte ANC-Sprecher Carl Niehaus, „aber sie wurden gezwungen, das Feuer zur Selbstverteidigung zu eröffnen.“ Wie es gestern zu den ersten Schüssen kam und vor allem wer sie abgab, war bis Redaktionsschluß nicht klar. Gerüchte, daß auch Heckenschützen von Hausdächern gefeuert hätten, ließen sich nicht erhärten. Passanten wurden wahllos angegriffen, Geschäfte geplündert. Die südafrikanischen Sicherheitskräfte waren in der Situation absolut überfordert und wurden ebenfalls von Demonstranten angegriffen. Am Nachmittag wurden Polizeieinheiten von außerhalb Johannesburgs herangezogen. Der Minister für Recht und Ordnung, Hernus Kriel, forderte Zulu-König Goodwill Zwelithini auf, seinen Einfluß unter seinen Anhängern geltend zu machen, um die Lage zu beruhigen. Mit den Ausschreitungen in Johannesburg ist in der Orgie von Gewalt in Südafrika, viereinhalb Wochen vor den ersten freien Wahlen, ein neues Stadium erreicht. Zwar hatte es in der Vergangenheit auch schon Zulu-Demonstrationen in der Johannesburger Innenstadt gegeben, bei denen es zu Plünderungen und Angriffen auf Passanten kam. Daß jedoch die Innenstadt vollkommen lahmgelegt wird, es als Folge von politischer Gewalt zu Toten und Verletzten kommt, ist neu. Auch aus Kwa Zulu/Natal wurde ein neuer „Rekord“ vermeldet: 55 Menschen sind am vergangenen Wochenende in Auseinandersetzungen zwischen Inkatha und ANC ums Leben gekommen. Inkatha-Führer Mangosuthu Buthelezi weigert sich, an den Wahlen teilzunehmen. Ob in der Provinz Natal überhaupt Wahlen stattfinden, erscheint derzeit fraglich. Der ANC hatte in der vergangenen Woche mehrfach von der Regierung gefordert, Buthelezi noch vor den Wahlen abzusetzen und Kwa Zulu zu übernehmen. Kordula Doerfler