Wie ein Bügeleisen auf dem Rippenfell

■ Schmerz, laß nach! Die Palliativstation in Bremerhaven erhört diesen Wunsch Todkranker. taz-Serie „Sterben in Bremen“, Teil 3

„Gute Besserung“ wünscht Chefarzt Helmut Munkel der blassen Frau im Krankenbett. Zynismus? Schließlich hat diese Patientin überall Metastasen. Nein, Munkel meint das nicht zynisch. Die Frau wird zwar in absehbarer Zeit sterben, aber jetzt geht es ihr endlich richtig gut: Sie ist schmerzfrei und doch bei Bewußtsein. Die ÄrztInnen der Palliativstation des St.Joseph-Stifts in Bremerhaven doktern nicht mehr am Grundleiden herum, sie versuchen „nur“ noch, die Symptome unter Kontrolle zu bekommen: die Schmerzen, die unerträgliche Übelkeit, den quälenden Juckreiz.

Viele tödliche Krankheiten bereiten erst im Endstadium große Schmerzen – wenn der Tumor auf andere Organe drückt oder in die Knochen metastasiert, gar ins Rückenmark. Dann zückt Dr. Munkel die Morphium-Pumpe. Die pumpt jede Minute eine individuell bestimmte Menge Morphium direkt zum Rückemark – die PatientInnen sind also dauerhaft schmerzfrei und geschäftsfähig. Bei Schmerzspitzen können sie sich über einen Schalter auch einen sogenannten „Extrabonus“ zuführen.

Jeder Schmerz ist mit Morphium wegzudrücken, doch mit der Menge steigt die Schläfrigkeit. Also braucht man noch andere Mittel zur Schmerzlinderung. Anti-Depressiva zum Beispiel, die senken automatisch die benötigte Menge Morphium. Dauerschmerz nämlich führt zu einer chemisch bedingten Depression. Ein gleich großer Schmerz wird dann jeden Tag noch schlimmer empfunden.

Eine andere Methode der Schmerzlinderung ist die Nervenblockade. Die wendet man allerdings nur kurz vor dem Sterben an, denn sie ist unwiderruflich: Wächst der Tumor zum Beispiel in den Arm und löst dort unerträgliche Schmerzen aus, kann man den Nerv mit einer Alkoholinfusion abtöten.

„Die Patienten nur mit Morphium vollzupumpen, das bringt nichts“, sagt Munkel, „dann werden sie irgendwann von ratlosen HausärztInnen bei uns abgeliefert: todmüde, hoffnungslos verstopft und geplagt von Juckreiz – alles Morphiumnebenwirkungen“. Er freut sich zwar, daß auch andere Kliniken die Todkranken auf den einzelnen Stationen mittlerweile aufmerksam schmerzbehandeln – doch eigentlich seien die StationsärztInnen damit völlig überfordert. Allein schon das Einstellen einer Morphiumpumpe erfordere die lange Erfahrung von speziell ausgebildeten AnästhesistInnen. Nötig sei der Rahmen einer eigenen Palliativstation. Die Bremerhavener Station wird als eine von 18 Modellstationen von Bonn gefördert.

Schmerzlinderung bei Todkranken ist teuer: ein Bett auf der Palliativstation kostet fast so viel wie ein Bett auf der Intensivstation. Zum Teil wegen der psychosozialen Betreuung – „wenn man den Kranken die Diagnose sagt, muß man auch bereit sein, sie in der anschließenden Woche Trauerarbeit zu begleiten“. Teuer sind aber auch die Medikamente, zum Beispiel die gegen die Übelkeit durch Chemotherapie. Es gibt nämlich auch eine palliative Chemotherapie – um etwa das Rippenfell metastasenfrei zu machen. „Da wagen Sie nicht durchzuatmen, so sticht das, wie wenn ein Bügeleisen aufs Rippenfell gesetzt würde“, beschreibt Helmut Munkel diese Schmerzen. Billig ist nur Morphium.

Zehn Todkranke können auf dieser Station Linderung finden, doch eine Sterbestation will die Palliativstation ausdrücklich nicht sein. Im Gegenteil: Kranke und Angehörige bereiten hier die Rückkehr nach Hause vor. Die Angehörigen lernen etwa, die Pumpe zu bedienen oder Infusionen zu geben. „Ausgetopft“ müssen sich die Kranken anschließend jedoch keineswegs fühlen – in der Klinik wird immer ein Reservebett bereitgehalten. Und bei Problemen kann die Palliativstation rund um die Uhr angerufen werden. Diese Gewißheit hat auch die HausärztInnen experimentierfreudiger werden lassen.

Manche Wohltat, die die Palliativstation ihren PatientInnen gewährt, kostet vor allem guten Willen: in den Zimmern sind eigene Topfpflanzen erlaubt (jeder andere Internist würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen), in manchen Zimmern liegen sogar Teppiche, selbst bei Bücherregalen sagt niemand was, bei hunderten von Plüschtieren sowieso nicht. Wenn dann noch die Entspannungskassette läuft, eigens von der Psychologin besprochen ...

Christine Holch