Tagesgage 30 Mark fürs Harmonika-Ziehen

■ Straßenmusiker in U-Bahn-Schächten: Auf Talentetests verzichtet die BVG – noch

Andrej Tscharow hat täglich ein Publikum wie mancher Profi nicht. Hunderte Berliner gehen an dem 24jährigen Musikstudenten aus St. Petersburg vorbei, wenn er in der U-Bahn-Station Yorckstraße in Schöneberg auf der Ziehharmonika russische Weisen spielt. Mit dem gesammelten Geld – rund 30 Mark pro Tag, sagt Andrej – finanziert er seinen Aufenthalt in Deutschland. „Ich habe keine andere Chance zum Geldverdienen hier“, zuckt er mit den Schultern. „Außerdem mache ich gerne Musik.“

Mit bewundernswertem Selbstbewußtsein, wenn auch nicht immer mit ebensolchem Talent, bringen Musiker aus aller Welt ein bißchen buntes Leben in die tristen Berliner U-Bahnhöfe. Doch die swingenden und fidelnden MusikerInnen müssen genau nach Vorschrift spielen. Seit 1987 vergeben die Berliner Verkehrsbetriebe „Musiziergenehmigungen“, erklärt BVG-Sprecher Wolfgang Göbel. Ohne dieses Papier und 12,50 Mark Tages-Obolus darf auf BVG-Grund und -Boden kein noch so begabter Musikus aufspielen.

Rund 100 bis 150 Tages-Genehmigungen werden von der BVG pro Woche vergeben. Die Inhaber der Musizier- und zugleich Freifahrtscheine müssen aber bestimmte Regeln beachten. Saxophon zum Beispiel darf nur am U- Bahnhof Hallesches Tor gespielt werden. „Bei anderen Bahnhöfen hallt es zu sehr“, meint Göbel. Außerdem dürfen maximal drei Personen ohne Verstärker auf die Pauke oder in die Tasten hauen. Auf einen Talentetest verzichtet die BVG jedoch.

Eine BVG-Umfrage hatte 1991 ergeben, daß 40 Prozent der Fahrgäste die dargebotene Musik „gut“ finden, solange sie im Bahnhof erklingt. Von Darbietungen während der Fahrt fühlen sich 45 Prozent jedoch gestört. Konzerte im Zug sind deshalb verboten.

Daß die meisten Leute seine Musik mögen, weiß Ditzman Ötzkan auch ohne Umfrage. Er spielt Saz – ein türkisches Saiteninstrument – im U-Bahnhof Kurfürstenstraße. „Ich habe schon viele Freunde – und Freundinnen! – dadurch gefunden“, sagt er. Zweimal in der Woche verdient er sich so „ein paar Mark“ zu seinem Lohn als Gartenbauarbeiter dazu. Darauf kommt es ihm aber nicht an: „Wenn ich hier spiele, übe ich auch, und die Leute hören mir zu. Das macht mir einfach Spaß.“

Liebe zur Musik ist nicht bei allen Musikern ausschlaggebend. Das ukrainische Duo Nikolai und Konstantin steht täglich mit Zimbale und Gitarre am Alexanderplatz. „Wir machen Werbung mit unserer Musik, weil wir nichts anderes gelernt haben“, sagen die beiden. „Ab und zu bekommen wir so einen Auftritt in einer Kneipe.“ Anke Häring (ADN)