■ Weitere Argumente für die aufrechte urinale Segregation
: Angriff auf die männliche Sexualität

Berlin (taz) – Mein Vorredner („Steppe“) gab unlängst eine hervorragende Einführung in die Diskussion über das Thema „Im Stehen pissen: ja oder nein?“ (Wahrheit v. 26.3.). Inhaltlich ist seinen Ausführungen nichts hinzuzufügen. Die Fakten liegen klar in der Hand. Allein die Theorie erlaubt es uns, das Problem noch weiter zu vertiefen und um einige Aspekte des unbewußten Seelenlebens zu ergänzen. Den Weg theoretischer Ausarbeitung hat Steppe hervorragend markiert. Ich übergehe die wegbereitende Funktion des Urinierens im Stehen als Hort kommunikativen Handelns im öffentlichen Pissoir und komme gleich zum Punkt. Steppe bezeichnet die urinale Segregation in der Position des aufrechten Stehens (die uns immerhin vom Affen unterscheidet), als „kleinen Orgasmus“. Damit ist die sexuelle Komponente der flüssigen Ausscheidung hinreichend angezeigt. Rätselhaft bleibt jedoch, woran genau die Streitfrage des Im-Stehen-Pissens sich von weiblicher Seite her eigentlich entzündet. Jeder, der zu Besuch in rein weiblich oder gemischt besetzten WGs war, kennt die hand- oder maschinengeschriebenen Hinweiszettel, in Sichthöhe auf dem WC angeschlagen: „Bitte im Sitzen pinkeln, sonst platscht es so.“ Es scheint, als zentriere sich der Streit rein um den hygienischen Aspekt.

Die Frage der Geruchsbelästigung ist, wie die praktische Erfahrung lehrt, jedoch eine nur vorgeschobene: Judith sagte mir zum Beispiel: „Als der Schorsch noch bei mir gewohnt hat, hat er öfter ins Waschbecken gepißt. Das hat mich überhaupt nicht gestört. Dadurch hat er nichts verspritzt, er brauchte nur den Wasserhahn aufzudrehen, und das Problem mit dem Geruch war gelöst.“

Diese unappetitliche Auffassung erhebt keinesfalls den Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Als alternative Sicht, von einer Frau artikuliert, erhält sie jedoch ihren Wert dadurch, daß sie die Frage der Geruchsbelästigung zumindest relativiert und so den Raum für weitere Betrachtungen eröffnet. So ist die Belästigung durch den Geruch nach Ammoniak ein unbestreitbares Faktum. Jedoch scheint es so zu sein, daß diese Belästigung durch den Geruch des Urins ihren Stellenwert in der Diskussion um das aufrechte Harnabschlagen erst dann erhält, wenn eine Übersensibilität ausgeprägt wird, welcher eine spezifische Prädisponierung vorausgeht. Oder anders: Die Geruchsbelästigung ist eine Rationalisierung. In Wahrheit geht es um die Schmähung einer von Männern lustvoll ausgeübten sexuellen Praxis.

Was ist ihr Spezifikum? Ein gewisser Wiener Nervenarzt hat diesbezüglich den in Kreisen feministischer Theoriebildung bestgehaßtesten Begriff vom „Penisneid“ geprägt: „In dieser Phase (des Penisneides) machen die Mädchen aus ihrem Neid und der daraus abgeleiteten Feindseligkeit gegen den begünstigten Bruder oft keinen Hehl: sie versuchen es auch, aufrecht stehend wie der Bruder zu urinieren, um ihre angebliche Gleichberechtigung zu vertreten“, heißt es in „Das Tabu der Virginität“. Von daher wird ersichtlich, daß das Stehpiß-Verbot Ausdruck mißglückter Nachahmung ist. Fügen wir ferner hinzu, daß die Position des Aufrechtstehens beim Pinkeln ein Symbol der Erektion als solcher ist, so sehen wir in dem Affront wider die vertikale Praxis der Entleerung einen Angriff auf die männliche Sexualität schlechthin. Dieser Angriff als solcher birgt nichts Verwerfliches. Allein, man sollte ihn mit gebührendem Respekt zur Kenntnis nehmen, ohne auf das Vorrecht auf Ausübung individueller Harndeportation in die Kloschüssel zu verzichten. Daß es in dieser Frage zu einer zwangsläufigen Vereinigung kommen muß, steht nirgends geschrieben. marie