: Nord-Süd-Konflikt im Basketball
Vereinsanhänger erleben in Griechenland mehr als spontane sportliche Gefühlsausbrüche: Niederlagen müssen auch mal Tribünenplätze, Heizungsrohre und Glasscheiben büßen ■ Von Nikos Theodorakopoulos
Berlin (taz) – In gewisser Hinsicht herrscht in Griechenland Krieg. Krieg, der sich in und außerhalb der Sportarenen ereignet. Das ist eigentlich nichts Neues. In unregelmäßigen Abständen nehmen solche Konfliktlösungsversuche allerdings eine Dimension an, welche die Augen der Öffentlichkeit auf sich ziehen. Die Schmerzgrenze wurde beispielsweise am 19. März überschritten. Aus offiziellen Kreisen klingt das so: „378 Sitzplätze und etliche Glasscheiben wurden demoliert, Heizungs- und Belüftungsrohre beschädigt, mehrere Dutzend abgebrochene Flaschenköpfe eingesammelt und eine nicht genau zu ermittelnde Anzahl von Menschen ins Krankenhaus eingeliefert.“
Warum die Randale? Wegen eins Basketballspiels zwischen Olympiakos aus Piräus und Paok aus der nordgriechischen Metropole Thessaloniki. Das Spiel – sowohl auf dem Feld als auch auf den Rängen – entschieden die Gastgeber aus Piräus deutlich für sich. Was hingegen den Kampf auf den Tribünen anlangt, muß allerdings ehrlicherweise hinzugefügt werden, daß die Gäste aus Saloniki deutlich in der Unterzahl waren.
Warum der Haß? Keiner weiß es so genau. Es handele sich eben um eine „traditionelle Feindschaft zwischen den Anhängern beider Mannschaften“, heißt es. Das gängige Erklärungsschema „Reiche gegen Arme“ scheint an dieser Stelle nicht zu greifen. Beide Vereine kommen aus Stadtteilen, die vor 70 Jahren von Flüchtlingen aus Vorderasien mit aufgebaut wurden. Aus den armen Arbeitern sind inzwischen handeltreibende Neureiche geworden, die großen Wert darauf legen, ein Prestigeobjekt in ihrem Stadtteil vorweisen zu können. Was ihnen gelungen ist. Beide Mannschaften gehören heute der europäischen Elite an, zumindest, was die sportliche Seite betrifft.
Ein möglicher Grund der Rivalität ist der allseits präsente Nord- Süd-Konflikt, der je nach Spieltag lokal ausgetragen wird. Auf der einen Seite stehen die Clubs und die Anhänger des sogenannten Zentrums, mit den Mannschaften von Olympiakos aus Piräus, AEK und Panathinaikos aus Athen. Dank ihrer blühenden Finanzsituation spielen die drei Vereine auf nationaler (Fuß- und Basketball-)Ebene die erste Geige. Was den drei allerdings bis jetzt nicht vergönnt war, ist die internationale Anerkennung.
Die wiederum haben Paok und Aris aus Saloniki mit ihren Basketballeliten kosten dürfen. Sie müssen allerdings – wegen ihrer spärlichen finanziellen Quellen – zusehen, wie ihre Sprößlinge regelmäßig ihr Glück 500 km südlich von Saloniki in der Hauptstadt suchen. Nicht selten vermuten die Vereine aus der zweitgrößten Stadt Griechenlands, daß Sport- und Politfunktionäre, wenn es darauf ankommt, mit unterschiedlichen Maßstäben messen. Was akademisch klingt, hat oft konkrete fatale Folgen. Denn das Verhalten der treuesten Anhänger beider Seiten hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren kaum verändert. So beschimpfen konsequent die „Hauptstädter“ ihre Rivalen aus dem Norden als „Bulgaren“. Letztere zeigen von Zeit zu Zeit Sinn für Humor und versammeln sich – wenn Anhänger aus dem Süden anreisen – am Fuße des Olymps, der so etwas wie die natürliche Grenze des Nordens darstellt, und machen Paßkontrollen.
Das Problem wäre einfacher zu bewältigen, wenn die Vereinsverantwortlichen (aus welchen Gründen auch immer) die Debatte nicht auf dem Niveau der Anhänger führten. Mit ihren Äußerungen provozieren sie nachgerade die Reaktionen ihrer Fans. So spuckte nach den Krawallen in Piräus der Präsident von Paok Gift und Galle: „Die sollen sich nächstes Mal nicht wundern, wenn sie nach Saloniki kommen!“ warnte er. Und in die Richtung von Panagiotis Fassoulas, „er soll es sich gut überlegen, ob er sich noch mal hier zu spielen traut“. Fassoulas, der viele Jahre das Trikot von Paok trug und jetzt auf der Gehaltsliste des „Erzrivalen“ steht, entgegnete nur lakonisch: „Die Gastfreundschaft entsprach der des Hinspiels.“
Dem Präsidenten von Olympiakos, Sotiris Kokkalis, fiel zu dem Problem auch nichts Besseres ein als vorzuschlagen: „Wenn das alles tatsächlich so passiert ist, sollten wir überlegen, ob es nicht besser wäre, unsere Anhänger bei den Auswärtsspielen zu Hause zu lassen.“
Die ganze Posse wirkt noch grotesker, wenn mensch sich vor Augen führt, daß die Zusammensetzung der Mannschaften längst nicht mehr die lokale Herkunft widerspiegelt, den Verein und Anhänger beschwören und verteidigen. Denn den Lokalpatriotismus der Anhängerschaft verteidigen auf dem Spielfeld jede Menge Ausländer und gelegentlich auch auf dem nationalen Markt aufgekaufte Gladiatoren.
Manche Anhänger prügeln sich auch unter anderen, soziokulturellen, Gesichtspunkten, etwa „Reich gegen Arm“ oder „alle gegen die Staatsgewalt“. So erlebte drei Tage vor den Krawallen Saloniki einen weiteren Gefühlsausbruch sportlicher Natur. Paok gewann souverän in Triest den Korac-Pokal, und die Daheimgebliebenen versammelten sich um vier Uhr morgens auf dem Flughafen, um den Erfolg mit der zurückkehrenden Mannschaft zu feiern. So weit ist es allerdings nicht gekommen. Denn die 20.000 bis 30.000, die in den Wartesaal drängten, waren schlicht ein paar zu viele für die überforderten Ordnungshüter. Das aufgebrachte Volk schlug das Flughafen-Mobiliar kurz und klein und besetzte die Landebahn. Bis weitere Polizeikräfte sie räumten, mußten die frischgebackenen Europapokal- Gewinner ihre Ehrenrunden eben über der Stadt drehen.
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