Schönberg im Supermarkt?

Die Marktstrategen der E-Klasse schielen neidvoll auf die Popbranche, doch E-Musiker scheuen eben den Ganzkörpereinsatz. Die erste KlassikKomm. eröffnete Einblicke in die Grabenkämpfe zwischen Kunst und Kommerz  ■ Von Reinhard Lüke

Wer hätte gedacht, daß auf der am vergangenen Wochenende in Köln erstmals veranstalteten KlassikKomm. der Name Aldi fallen würde? Nein, unter den rund 80 Ausstellern dieser nach dem Vorbild der inzwischen etablierten PopKomm. aufgezogenen Messe für E-Musikalisches war der Lebensmittel-Discounter nicht vertreten. Und wahrscheinlich hatten dessen Sortimenter von dem Ereignis auch gar keinen blassen Schimmer, als sie just in der vergangenen Woche in ihren Filialen zwischen Osterhasen und Gartenscheren jenen Artikel in die Regale räumen ließen, der im Rahmen dieses Stelldicheins der Förderer und Verhökerer der ersten Muse mehr als einmal Erwähnung finden sollte: fünf Klassik-CDs im Pappkarton für schlappe 20 Mark.

Natürlich, das mit Aldi war purer Zufall. Es hätte ebensogut Tengelmann, Hertie oder Obi sein können. Daß die seriösen Vermarkter von Beethoven, Schönberg & Co. überhaupt in diese Niederungen hinabstiegen, war hingegen durchaus Ausdruck einer Marktsituation, die auch die Verkaufsstrategen der etablierten Plattenfirmen inzwischen zu hektischer Betriebsamkeit veranlaßt. Jahrzehntelang waren die Branchenriesen mehr oder minder unter sich geblieben und hatten die kleine, aber feine Zielgruppe von rund acht Prozent Klassikliebhabern unter der bundesrepublikanischen Bevölkerung mit Neueinspielungen (vorwiegend) alter Meister versorgt. Und auch für ein paar Klein-Label mit ihren ambitionierten Nischenprogrammen war da noch Platz. Die Erfindung der CD bescherte der Branche dann einen unverhofften Boom, doch der gehört inzwischen längst der Vergangenheit an. Und trotzdem, so machten sämtliche Diskussionsforen im Rahmen der Klassik.Komm deutlich, ist nichts mehr so wie vorher. Seitdem Billig- und Billigstangebote in fast jedem Plattenladen die Käufer locken, ist der Klassikmarkt in Bewegung geraten. Zwar konnten sich die Vertreter der High-Price-Edelproduktionen lange Zeit noch damit trösten, daß die eingefleischten Klassik- Fans über jene oft dubiosen Aufnahmen und Zusammenstellungen nur die Nase rümpften, doch spätestens der Siegeszug von Naxos hat sie offenbar endgültig aus ihrem Dornröschenschlaf gerissen. Schließlich gelingt dem Label, dessen Programm inzwischen rund 600 Titel umfaßt, nunmehr seit Jahren nicht nur das Kunststück, Klassik-CDs für zehn Mark herauszubringen, sondern für die Aufnahmen auch noch höchstes Kritikerlob einzuheimsen.

So fahndet man bei Branchenriesen wie PolyGram, CBS/Sony oder EMI inzwischen fieberhaft nach Wegen, auch ein Stück vom gewachsenen Kuchen abzubekommen oder doch zumindest nichts vom angestammten Tortenstück an die neue Konkurrenz zu verlieren. „Wir müssen raus aus dem Elfenbeinturm und den Leuten die Schwellenangst bei der Berührung mit der Klassik nehmen“, brachte EMI-Repräsentantin Dorit Adenauer das allgemeine Bestreben auf eine Formel. Dabei schielen die Marketingstrategen neidvoll auf die Popbranche. Doch von deren Gesetzmäßigkeiten der Vermarktung, so das in Köln allgemein zu vernehmende Lamento, ist die Klassik (noch) weit entfernt. Wo Stars und Sternchen der leichten Muse zu fast jeder Schandtat bereit sind, wenn es darum geht, den Umsatz durch Ganzkörpereinsatz und Homestories zu fördern, weigern sich die Vertreter des „ernsten“ Fachs bislang hartnäckig, ihre Haut für den Kommerz zu Markte zu tragen. Und so klang die Klage der Promoter über die mangelhafte Präsenz ihrer Schützlinge in den Medien eher halbherzig. Ist ihnen doch auch klar, daß mit farblosen Tasten- oder Taktstockvirtuosen ohne jede Aura und Skandälchen keine Titelseite zu ergattern ist. Mythen wie Karajan oder Glenn Gould lassen sich nicht nach Belieben klonen, und Persönlichkeiten wie Bernstein wachsen nun mal nicht auf Bäumen.

Was nicht heißen soll, daß sich nicht auch in der Klassik der ein oder andere Mega-Seller am Reißbrett planen ließe. Wenn Pavarotti, Carreras und Domingo auf einer Platte schmettern oder Anne-Sophie Mutter „Carmen Fantasien“ geigt, klingeln die Kassen. Doch bereits die diversen Mönchs- Chöre, die derzeit mit Gregorianischem für Umsatz sorgen, stellen die Marketing-Abteilungen vor ernste Probleme. Zukunftsträchtiger ist da schon ein Produkt wie Nigel Kennedy, jener Typ, der jahrelang unscheinbar in der britischen Mittelklasse herumfidelte, bis er sein Outfit änderte und als Klassik-Punk zum Star wurde. Mit Figuren wie ihm soll vor allem die Jugend animiert werden, sich eine Klassik-CD neben Madonna und Prince ins Regal zu stellen. Und da Popularisierung heutzutage nur über Personalisierung und damit Visualisierung laufen kann, käme den Marketing- Abteilungen nichts gelegener als ein MTV oder Viva für Klassik. Doch auch hier wurde auf der KlassikKomm. heftigst zwischen Kunst und Kommerz gefochten. Eine Debatte um Clips und assoziative Bilder, die sich avantgardistisch gab und doch gleichzeitig an jene in grauer Vorzeit geschlagenen Schlachten um den Tonfilm oder die Legitimität von Literaturverfilmungen erinnerte. Daß es sich hierbei nicht um Verrat, sondern schlicht um ein neues Genre handeln könnte, war zumindest noch heftig umstritten. Mit dem kommerziellen Hamburger „Klassik-Radio“ spielte hingegen zumindest eine Form der akustischen Häppchen-Kultur eine gewichtige Rolle auf der Klassikkomm. Der Sender, der seine Hörer vorwiegend mit populären Ausschnitten aus klassischen Werken lockt und in einer konzertierten Aktion mit dem Lifestyle-Bilderbuch Max die Aktion „Klassik-CD des Monats“ veranstaltet, war allseits präsent. Zusammen mit der Deutschen- Phonoakademie verlieh man erstmals den „Echo Klassik“-Preis. Eine Veranstaltung, die freilich eher Anlaß zur Heiterkeit bot. Nicht allein, weil sich unter den Preisträgern so „überraschende“ Namen wie Sabine Meyer, Christa Ludwig und gar Leonard Bernstein, selig, fanden, sondern auch noch durchsickerte, daß jede betreffende Plattenfirma für den mit der Auszeichnung verbundenen Werbeeffekt satte 10.000 Mark berappen mußte. Angesichts eines derart hemmungslosen Kommerzgebarens blieb den vertretenen Kleinlabels mit ihren ambitionierten Minoritätenprogrammen nur noch das Hohelied auf den öffentlich-rechtlichen Hörfunk. Wohlwissend, daß für ihr Sortiment sonst weit und breit kein anderer Multiplikator und kostenloser Werbeträger in Sicht ist. Schließlich werden sie auch von der Marketing-Zauberformel „Crossover“ kaum profitieren können. Für Olympiahymnen, wie sie Montserrat Caballé und Freddy Mercury zu Barcelona oder Placido Domingo und jene norwegische Chanteuse zu Lillehammer sülzten, fehlen ihnen die großen Namen. Und wenn ein Zampano wie Justus Frantz demnächst bei Karl Moik im „Musikantenstadl“ Millionen begeistert, sind sie auch nicht mit von der Partie. Dennoch bleibt ihnen ein Trost: Denn ob sich MTV-Kids auf diese Art dauerhaft für die Klassik ködern lassen oder sich Lieschen Müller durch entsprechende Marketingstrategien langfristig auch für Schönberg & Co. begeistern läßt, ist mehr als fraglich. Zumindest haben sämtliche Aktivitäten, die die Konzerne in jüngster Zeit mit Greatest-Hits- Samplern oder Katalog-Compilation unternommen haben, in dieser Richtung wenig gefruchtet. Was bei Licht betrachtet auch nicht weiter verwundert. Warum soll sich die Müllersche auch eine komplette und sauteure Geamtaufnahme einer Oper zulegen, wenn doch jene nette Mitsumm-Arie, die sie aus dem Werbespot kennt, bereits auf dem Sampler ist? Für die Marketing-Strategen kommt's noch dicker: Womöglich ist es Lieschen auch völlig schnuppe, ob da die Berliner Symphoniker konzertieren oder Franz Lambert mit dem Kurorchester Bad Driburg die „Kleine Nachtmusik“ zum besten gibt. Kurzum: Schönberg bei Aldi wird's so schnell nicht geben, und Theodor Wiesengrund wird vorerst weiter in Frieden vor sich hin dösen können.