„Wir fühlen uns als Muslime und Araber“

Die drusischen Bauern auf den Golanhöhen warten auf ein Ende der Besatzung / Einer Zwangseinbürgerung durch Israel haben sie sich widersetzt  ■ Aus dem Dorf Majdal Schams im Golan Karim El-Gawhary

„Jabal Al-Sheikh“ – Berg des Scheichs – nennen die Bewohner des Dorfes Majdal Schams die steile Erhebung am Horizont, über der jeden Morgen ihre Sonne aufgeht. Mit seiner weißen Schneekappe sieht der Berg in den Golanhöhen aus „wie einer unserer Scheichs mit dem weißen Tarbusch auf dem Kopf“, erklären sie die Namensgebung.

Ein Blick auf den Berg zeigt dem Besucher sofort, was die Menschen hier oben am meisten beschäftigt. Eine bräunliche Linie zieht sich über das vulkanische Basaltgestein. Es ist der Weg, an dem sich die verminte Waffenstillstandslinie zwischen Israel und Syrien entlangzieht. Zu beiden Seiten der gewundenen Linie erstreckt sich die 16 Kilometer breite Pufferzone, in der UN-Truppen seit 17 kalten Jahren ihren Dienst tun.

Während der Kriege 1967 und 1973 fanden rund um diesen Berg mit seinen Minenfeldern, Antipanzergräben, elektronischen Vorrichtungen und Bunkern die blutigsten Schlachten statt. Jetzt wirkt die Szenerie vom Fuße des Jabal Al-Sheikh friedlich. Nur das Brummen einiger Automotoren im Dorf übertönt von Zeit zu Zeit das monotone Pfeifen des Windes.

Im Sechstagekrieg 1967 hatten israelische Truppen das Gebiet diesseits des Berges erstmals besetzt, um die „Nordgrenze Israels abzusichern“, wie es in der offiziellen israelischen Geschichtsschreibung heißt. Seither blieb es unter israelischer Kontrolle. 1981 wurde das Gebiet von der rechten Likud-Regierung unter Premierminister Menachim Begin annektiert. Dieser Schritt fand bis heute keine internationale Anerkennung.

Seither dreht sich das Leben der Einwohner in den Bergdörfern nicht mehr nur um ihr Hauptanbauprodukt, die schmackhaften saftigen Golan-Äpfel. Seither geht es auch um ihre Identität. „Wir sind und bleiben Syrer, und wir hatten schon immer die besten Äpfel der Welt“, faßt Scheich Suliman al-Maqqad die Lage kurz und bündig zusammen. Mit einigen Verwandten sitzt er am Ölofen, der bullernd gegen die Kälte draußen ankämpft. Alle im Raum haben bittere Erfahrungen unter der Besatzung gemacht; alle haben sie bereits israelische Gefängnisse von innen gesehen. Manche auch mehrfach.

Die Älteren im Raum erinnern sich noch gut an die Zeit vor 1967. In mehr als hundert Dörfern lebten damals 130.000 Menschen. Fünf Dörfer mit 16.000 Menschen sind übriggeblieben. Alle übrigen Bewohner der Gegend wurden in der ersten Zeit der Besatzung vertrieben, oder sie haben sich vorsichtshalber von alleine nach Syrien abgesetzt, wo meist andere Teile der Familien leben. Der Boden des Golan wurde überwiegend konfisziert und zu israelischen Militärzonen oder jüdischen Siedlungsgebieten erklärt.

Nach dem Willen der israelischen Regierung sollten diejenigen, die übriggebliben sind, zu israelischen Staatsbürgern gemacht werden. Zunächst war dies auf „freiwilliger Basis“ geplant. Wer die israelische Staatsbürgerschaft annahm, durfte niedrigere Steuern zahlen als die anderen, bekam mehr Wasser zugeteilt und mußte nicht so lange auf eine Baugenehmigung warten, um das Haus zu erweitern. Doch die Golan-Gemeinde blieb hartnäckig. Nur einige wenige entschlossen sich zu dem Schritt. Wer nachgab, wurde zum gesellschaftlichen Außenseiter, mußte Familienfeste fortan alleine feiern und seine toten Verwandten im kleinen Kreise betrauern.

Als die Golanis dann 1982 zwangseingebürgert werden sollten, kam es zum offenen Protest. Ein Generalstreik wurde ausgerufen, und die israelische Armee erklärte die Dörfer zur geschlossenen Militärzone. Bei gewalttätigen Demonstrationen starben 35 Menschen. Dem Roten Kreuz wurde der Zugang zu dem Gebiet untersagt. An einem Tag im April sollen während einer 24stündigen Ausgangssperre mehr als 14.000 israelische Soldaten von Haus zu Haus gegangen sein, um die neuen, frisch gedruckten israelischen Personalausweise auszuhändigen. In den nächsten Tagen waren die Dorfstraßen mit den weggeworfenen israelischen Identitätskarten übersät. Mit dem israelischen Einmarsch in den Libanon verschwand der Golan-Streit im Schatten des größeren Konfliktes. Nach einem halben Jahr ging den Streikenden, abgeschnitten vom Rest der Welt, die Luft aus. Sie gaben auf. Doch bis heute ist ihr Status nicht geklärt. Offiziell besitzen sie nun israelische Personalausweise und gelten als Einwohner, nicht aber als Bürger des israelischen Staates, wie sie auch selbst immer wieder betonen.

Schwerfällig erklimmt der Bus der israelischen Reisegesellschaft „Egged-Tours“ die Höhen des Golan. Neben der Besichtigung von Grenzanlagen, Wasserfällen und modernen israelischen Siedlungen werden die Reisenden hier das einzige Mal im Schnellverfahren mit den ursprünglichen Einwohnern des Golan konfrontiert. „Hier leben die Drusen“, erklärt die israelische Reiseleiterin Rachel. Zur Touristenattraktion werden sie vor allem wegen ihrer Religion gemacht, die in der Tat etwas Geheimnisvolles hat. Vor 900 Jahren vom Islam abgespalten, überlebten sie als Minderheit mit ihrem religiösen Dogma der unbedingten Anpassung an ihre Umwelt. „Sie leben zwischen den Arabern und sprechen arabisch“, sagt die Reiseleiterin. „Sicherheitshalber“ hält der Bus nicht an. Was die Touristen aus Deutschland, Holland und den USA nicht wissen: am Morgen haben in den Dörfern Demonstrationen gegen die israelische Besatzung stattgefunden, die von der Polizei mit Tränengas aufgelöst wurden.

„In der Moschee sind wir Drusen, aber wir fühlen uns als Araber“, erklärt der Bauer Abu Jabal. Er sitzt mit Freunden im kleinen Büro der „Arabischen Gesellschaft für Entwicklung“ von Majdal Schams. „Al-Gamaiya“ – die Gesellschaft – wird die vor zwei Jahren gegründete erste einheimische Institution hier oben kurz genannt. Wie der drusische Würdenträger Scheich Maqqad finden auch die Besucher im Büro eine besondere drusische Identität oder gar einen drusischen Nationalismus absurd. Die Israelis versuchen, eine drusische Identität zu schaffen, um uns von den anderen Arabern zu trennen, ist die allgemeine Ansicht im Raum.

„Sicher“, sagt der Biologe Taiseer Maray, einer der Gründer der Gesellschaft, „wir gehören nicht zur Hauptströmung des Islam, aber wir fühlen uns als Muslime und Araber.“ Die israelischen Medien sprechen die ganze Zeit von drusischen Sitten, drusischen Häusern oder drusischem Essen, erzählt er, ganz im kolonialen Teile- und-herrsche-Stil. Ziel sei es, meint Maray, die Drusen im Golan mit ihren Glaubensbrüdern im Kernland Israel zusammenzubringen. Dort sind die Drusen vollständig ins System eingegliedert und werden sogar ins israelische Militär oder die Grenzpolizei einberufen. Ihnen hängt der Ruf an, bei ihren Einsätzen ganz besonders rabiat gegen die Palästinenser in den besetzten Gebieten vorzugehen.

Die Golan-Drusen dagegen verweigern jeglichen israelischen Militärdienst. Die Beziehungen zwischen den beiden Drusen-Gemeinden sind kühl. „Ich habe meine Verwandten im Inneren seit der 27jährigen Besatzung zweimal besucht. Wer die arabischen Familienbande kennt, der weiß, was das bedeutet“, sagt Maray.

Die Gründung von Institutionen wie die „Gamaiya“ ist für die Golanis eine völlig neue Form von Politik. Vor allem bei den Älteren trifft die neue Einrichtung denn auch auf Skepsis. Scheich Maqqad etwa fürchtet, daß mit der Gründung von Institutionen auch die Anwendung von israelischem Recht im Golan akzeptiert wird. Schließlich müsse eine solche Einrichtung bei den israelischen Behörden registriert werden. Er holt ein abgegriffenes, vergilbtes syrisches Zivilgesetzbuch hervor. „Syrische Institutionen müssen ihr Hauptquartier innerhalb Syriens haben“, liest er vor, „wenn wir anfangen, das syrische Gesetz zu mißachten, werden wir zu Israelis“, fügt er mit erhobenem Zeigefinger hinzu. Er hat im Gegensatz zu den Jüngeren die meiste Zeit seines Lebens unter syrischer Herrschaft verbracht. „In der einen Hand halten wir das syrische Gesetzbuch, in der anderen unser islamisches Recht“, sagt der Scheich.

Die Jüngeren sehen das anders. „Seit dem Streik 1982 stieg zwar das allgemeine politische Bewußtsein, es fehlten uns aber die Institutionen“, entgegnet Fakhri, der Sohn des Scheichs. „Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir mit Institutionen arbeiten, die registriert sind“, meint auch Maray.

In der kurzen Zeit ihres Bestehens kann die „Gesellschaft“ schon Erfolge vorweisen. Eine kleine Arztpraxis wurde vor mehreren Monaten gegründet. Maray sitzt am Computer im Büro der Gesellschaft und arbeitet die neuesten Ideen für weitere Projekte aus. Eine von den israelischen Behörden unabhängige Krankenversicherung soll ins Leben gerufen werden, Alternativen zum Einsatz von Pestiziden beim Apfelanbau sollen diskutiert werden.

Wie das Leben in den Dörfern weitergeht, ist ungewiß. Die mehr als 1.000 Quadratkilometer der Golanhöhen diesseits des Jabal Al- Sheikh bilden einen der Hauptstreitpunkte bei den gegenwärtigen Nahostverhandlungen. Syrien fordert die Rückgabe des gesamten Territoriums, bevor es mit Israel in ernsthafte Friedensverhandlungen tritt. Israel dagegen verlangt, daß die Regierung in Damaskus zuerst die genauen Bedingungen des Friedens definiert. Die offiziellen Verhandlungen ruhen derzeit.

Für beide Länder bilden die Golanhöhen ein strategisches Guthaben. Von dort könnten syrische Truppen ganz Nordisrael überblicken. Jetzt stehen israelische Truppen hier – ganze 35 Kilometer von der syrischen Hauptstadt Damaskus entfernt. Israelische Lauschposten können von hier aus mit modernster Technik jedes gesprochene Wort in Damaskus mithören – auch die des Präsidenten, heißt es. Darum werden wichtige Entscheidungen in Damaskus angeblich nur schriftlich oder per Handzeichen übermittelt.

Im Büro der „Gamaiya“ stimmen alle der syrischen Forderung zu. „Jede Lösung ist akzeptabel, solange sich Israel komplett aus dem Golan zurückzieht“, meint Abu Jabal. Um aktiv am Verhandlungsprozeß teilzunehmen, sind die Bewohner des Golan, die gerade einmal ein Prozent der syrischen Gesamtbevölkerung ausmachen, zu wenige. „Wir haben keinen Einfluß auf die Verhandlungen, aber im Gegensatz zu den Palästinensern haben wir den syrischen Staat, der uns vertritt“, erkärt Hamud Mara'i, ein Lehrer, der wegen seiner politischen Aktivitäten von den Israelis entlassen wurde und heute als Schreiner arbeitet.

Aber nicht jedem ist der Gedanke ganz geheuer, vielleicht schon morgen wieder unter syrischer Herrschaft zu leben. Die Drusen im israelisch besetzten Golan mit ihrem politischen Aktivismus, ihrem Starrsinn und ihren neu gebildeten kommunalen Institutionen wären Staatsbürger, die sich dem harschen Regime in Damaskus nicht so leicht fügen würden. Doch das ist für die Leute im Büro der „Gamayia“ kein Thema. „Wenn wir zwischen Assad und der israelischen Besatzung zu wählen hätten, würde ich mich für ersteren entscheiden“, meint einer der Besucher in der „Gamyia“ spontan. Sie hoffen, daß der syrische Staat auch Institutionen wie die ihre braucht. Ansonsten wollen sie sich über syrische Innenpolitik nicht äußern. Es werde sicherlich auch kulturell schwierig, sagt ein junger unverheirateter Druse vorsichtig. „Wir hier haben einen anderen Lebensstil entwickelt als unsere Familien jenseits der Grenze. Die Beziehungen von Männern und Frauen etwa sind hier wesentlich offener.“ Politisch oder kulturell, die meisten kennen Syrien ohnehin nur aus Erzählungen oder aus dem syrischen Fernsehen.

Warten auf den Rückzug, heißt jetzt das Motto in den drusischen Dörfern des Golan. Viele glauben, daß es schon in den nächsten beiden Jahren soweit sein könnte. Das Gesparte bleibt vorläufig unangetastet. Wer ein neues Haus bauen oder sein altes umbauen möchte, wer ein neues Auto kaufen will, wartet lieber ab. Solche Unternehmungen wären in Syrien schließlich viel billiger. Und während die Apfelbäume langsam anfangen zu blühen, steht das Alltagsleben der Apfelbauern merkwürdig still.