■ Trotz des Erdrutsches: Italiens Wahl hat auch Positives
: Auftritt: Die Pragmatiker

Natürlich besteht kein Grund zum Herunterspielen der auf den ersten Blick massiven politischen Verwerfungen in Italien. Doch das Ereignis hat nicht nur erschreckende Seiten. Mehr als ein „Rechtsruck“ nämlich ist das Wahlergebnis ein Nicht-Linksruck. Der Antikommunismus Berlusconis hat sich noch einmal ausgezahlt. Mehr als eine Neuverteilung der Macht unter die Parteien macht sich hier der Anfang eines grundlegenden Wandels bemerkbar: die Herausbildung neuer politischer Mittler, die nur noch vage Ähnlichkeit mit den alten Parteien haben – inhaltlich wie organisatorisch.

Man mag Berlusconi mögen oder nicht: daß ein Nichtpolitiker innerhalb weniger Wochen mehr als zwanzig Prozent Wählerstimmen sammelt und zusätzlich die beiden größten Protestgruppierungen (Ligen und Neofaschisten) zu einer Allianz bewegt, ist alleine schon etwas Ungewöhnliches. Und es ist weder mit einem „politischen Naturtalent“ Berlusconis noch mit dem „Machtvakuum“ nach dem Kollaps der Altregierungsparteien im Gefolge der Korruptionsskandale voll erklärbar. Denn immerhin waren es zwei völlig gegensätzliche – und nun sofort auch wieder auseinanderdriftende – Formationen, die da mit ihm im Bunde waren: Separatisten und Zentralisten.

Das Wahlergebnis zeigt vielmehr, daß die Italiener, nachdem sich fast fünf Jahrzehnte im Parteiengefüge faktisch überhaupt nichts bewegt hat, plötzlich bereit sind, selbst absurde Allianzen zu wählen – im Bewußtsein, daß es sich hier um vorübergehende Koalitionen zu einem bestimmten, klar begrenzten Zweck handelt; In diesem Falle war es die Verhinderung von „Links“. Das wäre übrigens genauso umgekehrt der Fall gewesen, bei einem Wahlsieg der Linksgrünen („Die Fortschrittlichen“): Auch diese Allianz war nicht durch das Programm definiert, sondern im wesentlichen durch den Gedanken, endlich einmal die ewig Regierenden der Mitte abzulösen.

Insofern werden sich weniger die Bürger als vielmehr die Politiker an eine ganz neue Lage gewöhnen müssen: Der sogenannte „Stammwähler“ verweigert seine Dienste, an seine Stelle tritt der Pragmatiker. Das wird, zumindest in Italien, unter Umständen noch instabilere Verhältnisse als bisher schon bedingen. Doch muß das nicht unbedingt ein Nachteil sein. Es wird zumindest jenen Sargnagel der Demokratie tilgen, welcher in der bisher nahezu unangefochten waltenden Sicherheit der Politiker bestand, ihr Amt qua festgefügter Partei nahezu unendlich festhalten zu können und sich ums Volk und seine Bedürfnisse einen Dreck zu scheren.

Berlusconi hat auch, aber nicht nur durchs Fernsehen gewonnen. Sein Hauptverbündeter war die Parteienverdrossenheit der Bürger. Werner Raith, Rom