„Ich war naiv-optimistisch“

■ Ahmad Tibi, Arzt und Berater Arafats in Israel, über die Folgen der Erschießung von sechs Fatah-Mitgliedern im Gaza-Streifen

taz: Vorgestern abend hat das israelische Militär sechs Fatah-Mitglieder im Flüchtlingslager Jabaliya im Gaza-Streifen erschossen. Wie können solche Gewalttaten verhindert werden?

Ahmad Tibi: Nur durch das Inkrafttreten des Friedensabkommens. Es wird zwar auch dann nicht vollkommen friedlich werden. Aber eine Verminderung von Gewalttaten wird eintreten.

Gestern sah es so aus, als würden die Friedensverhandlungen jetzt fortgesetzt werden. Gilt das noch immer?

Das PLO-Exekutivkomitee berät derzeit, wie es nach dem neuerlichen Verbrechen weitergeht.

Sie nennen es Verbrechen.

Ja, es ist ein Verbrechen. Es ist doch nur eine Fortsetzung des Massakers von Hebron. Erst hat Baruch Goldstein 30 Menschen erschossen. Dann hat in den darauf folgenden acht Tagen das israelische Militär 30 Palästinenser erschossen. Und jetzt sind noch einmal sechs Palästinenser ermordet worden. Es wird sehr schwer sein, die Friedensgespräche diese Woche fortzusetzen.

Was ist Ihre Forderung an die Israelis?

Sie sollen aufhören, uns umzubringen. Sie sollen dafür sorgen, daß die Athmosphäre sich ändert, und endlich anfangen, uns als Menschen wahrzunehmen.

Vertrauen Sie Rabin, der ja gleichzeitig Verteidigungs- und Premierminister ist?

Der Verteidigungsminister Rabin beschädigt die Friedensbemühungen des Premierministers Rabin.

Wie konnte es aus Ihrer Sicht zu der neuerlichen Erschießung von Palästinensern kommen?

Der einzige Grund, der dahinterstehen kann, ist, daß es einen Befehl gegeben hat, ein Blutvergießen zu inszenieren. Wenn israelisches Militär in das Flüchtlingslager geht, dann tut es das nur aus einem bestimmten Grund. Außerdem war es kein normales Militär. Es war eine Spezialeinheit, die da hingegangen ist, um Menschen zu erschießen. Wer hat die Anweisung gegeben, einen Tag vor der Fortsetzung der Gespräche in das Flüchtlingslager zu gehen?

Vor ein paar Tagen haben Sie noch optimistisch über den Friedensprozeß gesprochen. Sie redeten von „historischen Veränderungen“ und von der „gegenseitigen Anerkennung beider Völker“.

Ja, ich war naiv-optimistisch.

Warum?

Weil wir einer Zwischenlösung nach dem Massaker in Hebron sehr nah waren. Dennoch, ich bin mir sicher, daß wir am Ende das Friedensabkommen in Kraft setzen werden.

Das Vertrauen der Palästinenser und Palästinenserinnen in die Führung nimmt immer mehr ab. Während die Führung die Friedensgespräche fortsetzen will, fordern die Menschen von der Basis, nicht weiter zu verhandeln.

Ja, gerade hatte ich einen Anruf aus Gaza. Ich wurde aufgefordert, Arafat zu sagen, daß er mit den Friedensgesprächen aufhören soll. Aber es gibt keine Alternative als den Friedensprozeß. Und natürlich hat unsere Glaubwürdigkeit sehr gelitten. Die Palästinenser sehen bis heute nicht irgendeine Änderung oder Verbesserung. Ich bin sicher: In dem Moment, wo das Abkommen in Kraft tritt und wenn die Palästinenser sehen werden, daß das israelische Militär abzieht, daß dann die Unterstützung des Friedens wieder dasein wird. Ich kenne mein Volk. Interview: Julia Albrecht