Gar nicht harmlos

■ „Near Death“, heute, 20.40 Uhr, arte

Am Anfang sieht alles ganz harmlos aus. Auf dem Charles River paddelt friedlich eine Rudermannschaft, im Hintergrund sieht man die Hochhäuser des Bostoner „Financial District“. Schnitt zu einer stark befahrenen Straße in der Innenstand Bonstons, dann zur Einfahrt des Beth Israel Hospitals, zur Eingangshalle, schließlich zur Intensivstation des Krankenhauses. Einige Ärzte und Schwestern diskutieren über einen Patienten. Erst allmählich begreift man, daß es hier um Leben und Tod geht: Die Kliniker reden darüber, ob man die Herz-Lungen-Maschine abstellen soll, die den Krebskranken noch am Leben erhält.

So beginnt der Dokumentarfilm „Near Death“, den der amerikanische Regisseur Frederick Wiseman 1989 über eine Intensivstation gedreht hat. Was folgt, ist eine oft qualvolle sechsstündige Darstellung davon, was passiert, wenn „alles medizinisch Mögliche getan“ wurde und Ärzte und Angehörige über das Leben von Todkranken entscheiden müssen. Bei einem weniger brillanten Regisseur als Frederick Wiseman hätte ein Film über dieses Thema leicht zum voyeuristischen Gaffstück geraten können. Aber „Near Death“ ist kein Reality-TV, keine Ausbeutung der Qualen Fremder. Wiseman gelingt es mit seinem unkommentierten Schwarzweißfilm auf eindrucksvolle Weise, uns in die Entscheidungsnot der Kranken, der Ärzte, der Verwandten einzubeziehen und so Verständnis für das moralische Dilemma und die Gewissenskonflikte seiner Akteure zu schaffen. Tilman Baumgärtel

Während der Sendung haben die ZuschauerInnen die Möglichkeit, bei arte anzurufen. Ihre Fragen und Bemerkungen werden morgen um 22.05 Uhr in einer Live-Diskussion mit internationalen ExpertInnen beantwortet und diskutiert werden.