Morsleben rettet AKW

■ Protokolle der Reaktorkommission bei Greenpeace gelandet

Morsleben (taz) – Im Bundesamt für Strahlenschutz und im Bonner Umweltministerium geht man jetzt vermutlich ganz energisch auf die Suche nach einem Maulwurf in den eigenen Reihen. Erneut veröffentlichte die Umweltorganisation Greenpeace gestern vertrauliche Unterlagen der Reaktorsicherheitskommission, aus denen nach Ansicht von Greenpeace-Atomexpertin Inge Lindemann gravierende Sicherheitsbedenken gegen den Betrieb des Endlagers hervorgehen.

„Aus diesen Unterlagen ist vor allen Dingen eine völlig unzureichende Datenlage für die Standfestigkeit des Grubengebäudes und damit für die Langzeitsicherheit des Endlagers ersichtlich“, interpretiert Inge Lindemann die RSK- Protokolle. Diese Daten- und Wissenslücken würden nach bundesdeutschem Atomrecht jederzeit die Genehmigung eines solchen Endlagers verhindern. Aber mit dem Einigungsvertrag fiel Bundesumweltminister Klaus Töpfer und der westdeutschen Atomindustrie das lange ersehnte Atomklo endlich in den Schoß. Die alte DDR- Betriebsgenehmigung wurde einfach, ergänzt durch einige Auflagen, bis zum Jahr 2000 fortgeschrieben. Das in den Protokollen der Reaktorsicherheitskommission detailliert aufgeführte Standort-Erkundungsprogramm dient nach Lesart Töpfers und seiner Freunde in der Atomwirtschaft erst für den Nachweis der Langzeitsicherheit über diesen Genehmigungszeitraum hinaus. „Das ist nach deutschem Atomrecht unzulässig“, findet Inge Lindemann.

Auch einen alten Kleinkrieg gegen das Bundesamt für Strahlenschutz nimmt Greenpeace wieder auf. Vom BfS hat die Umweltorganisation jetzt nach der Umwelt-Informationsrichtlinie der Europäischen Union Einsicht in sämtliche umwelt- und sicherheitsrelevanten Daten und Akten zum Endlagerstandort Morsleben gefordert. Das BfS hatte Greenpeace derartige Informationen bislang verweigert, hat in dieser Haltung aber zunehmend schlechte Karten. Da es die Bundesregierung versäumt hat, die europäische Umwelt-Informationsrichtlinie in nationales Recht umzusetzen, kann sich Greenpeace jetzt auf das ziemlich weit gehende europäische Recht berufen.

Viele Untersuchungen, die für die Sicherheitsbeurteilung eines Endlagers notwendig sind, werden nach den RSK-Unterlagen derzeit erst durchgeführt. So laufen jetzt die einschlägigen oberirdischen Untersuchungen und Erkundungen. Sie sollen erst Ende des Jahres abgeschlossen werden. Noch später, nämlich erst 1995 und zum Teil sogar erst 1996 sollen die unterirdischen Erkundungen abgeschlossen sein. „Ohne das Vorliegen derartiger Untersuchungsergebnisse und Analysen ist die Wiederaufnahme des Endlagerbetriebs geradezu kriminell“, findet Inge Lindemann.

Aus den Unterlagen der Reaktorsicherheitskommission geht nach Ansicht der Greenpeace- Atomexpertin aber auch hervor, warum Töpfer gegen alle Sicherheitsbedenken, Erkenntnislücken und Widerstände den Weiterbetrieb von Morsleben durchdrückte. Der größte Teil der rund 40.000 Kubikmeter Strahlenmüll, die bis zum Jahr 2000 in dem Atomklo versenkt werden sollen, sind Betriebsabfälle aus westdeutschen Atomkraftwerken. In fast allen Betriebsgenehmigungen westdeutscher Atomkraftwerke wird Schacht Konrad bei Salzgitter als Entsorgungsnachweis für schwach- und mittelaktive Abfälle genannt. Nach der ursprünglichen Planung sollte das Erzbergwerk bereits Ende 1993 seinen Betrieb als Endlager aufnehmen. Und bis dahin erkannten die Genehmigungsbehörden den fiktiven Entsorgungsnachweis als realen an.

Der Zeitplan ist längst über den Haufen geworfen, die westdeutschen Ziwschenlager sind randvoll. Nach Greenpeace-Berechnungen hätten die Betreiber westdeutscher Atommeiler ohne Morsleben spätestens im kommenden Jahr vor dem Entsorgungskollaps gestanden. Eberhard Löblich