: Auswahl nach Gutsherrenart
■ Bei der Besetzung einer Germanistikprofessur wird eine Kandidatin trotz erstklassiger Plazierung nicht berufen / Wissenschaftssenator befindet über Qualifikation / Landesgleichstellungsgesetz im Härtetest
Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) hat einen Mann an einer Frau vorbei auf eine Germanistikprofessur berufen. Was wie patriarchale Routine anmutet, hat im Falle der „Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft“ der Freien Universität frauenpolitische Brisanz: Der Senator hat nicht nur die unbestrittene Qualifikation einer Frau und das eindeutige Votum der zuständigen Universitätsgremien mißachtet. Er hat gleichzeitig das Landesgleichstellungsgesetz (LGG) zur Farce erklärt. Erhardts Argument gegen die Erstplazierte Claudia Brodsky aus Princeton und für den – ebenfalls renommierten – Gert Mattenklott: Der Mann ist besser.
So deutlich sagt das Manfred Erhardt natürlich nicht. Schließlich handelt es sich um eine Personalie, und solche ist vertraulich zu behandeln. Der Senator äußert sich gerichtsfest: Von Abgeordneten darauf hingewiesen, daß er durch Paragraph 8 des LGGs gesetzlich gezwungen sei, die Frau zu berufen, wußte Erhardt im Wissenschaftsausschuß die schlichte Antwort: „Bei gleicher Qualifikation!“ Wenn Erhardt damit durchkommt, ist das „Landesgleichstellungsgesetz das Papier nicht wert, auf dem es steht“, meint die Frauenbeauftragte der FU, Christine Färber. Die Formel, „bei gleicher Qualifikation ist die Frau zu berufen“, war von Berlins Parlament in den Gesetzesrang erhoben worden. Nun steht das Kernstück des Gleichstellungsgesetzes zur Disposition, wenn nicht ein politischer oder rechtlicher Weg gefunden wird, den Senator von seiner Berufung abzubringen.
Die Chancen dafür sind ungewiß. Am 11. April soll Senator Erhardt dem Abgeordnetenhaus sein Abweichen von der Berufungsliste erklären. Hochschulpolitisch ist der „Fall Brodsky“ nicht weniger brisant. Es geht um einen der materiell und intellektuell interessantesten Lehrstühle der Republik: Die Nachfolge des Doyens der Berliner Literaturwissenschaft, Eberhard Lämmert. Die Stelle ist mit C4 dotiert, einer Besoldungsgruppe, die als Hort der Männlichkeit gilt. Kümmerliche 3,9 Prozent solcher Professuren sind von Frauen besetzt. Das weiß auch Manfred Erhardt. „Bei Berufungen sollte insbesondere die Diskrepanz im Frauenanteil zwischen C-4- und C-3-Professuren behoben werden“, hatte sich der Senator erst 1993 in seinem „Hochschulstrukturplan“ selbst zum Ziel gesetzt.
Dabei wäre Frauenförderung so leicht gewesen. Die 39jährige Claudia Brodsky, die Associate Professor in Princeton ist, war nach einer knappen Entscheidung in der Berufungskommission vom Fachbereichsrat mit 21:7 Stimmen nominiert worden. Auch der Akademische Senat der Universität beanstandete die Top-Plazierung der Frau nicht, die ihre akademische Karriere an Orten wie Harvard, Yale und der Pariser Sorbonne begründete. Damit war das Verfahren der fachlichen Prüfung eigentlich abgeschlossen. Der Senator ist gehalten, sich auf das rechtlich einwandfreie Zustandekommen der Nominierung zu beschränken – und den oder die Erstplazierte zu berufen.
Nicht so der christdemokratische Wissenschaftssenator Manfred Erhardt. Von Argumentationshilfen der Mattenklott-Befürworter aus dem Fachbereich Germanistik angeregt, setzte er ein eigenes kleines Begutachtungsverfahren in Gang. Wie die taz erfuhr, bat er Germanisten erneut um Stellungnahmen, wer der/die bessere sei: Frau Brodsky oder ihr Konkurrent Gert Mattenklott, ein in Berlin lebender Professor der Uni Marburg. Ob dem Senator ein so weitgehendes fachliches Aufsichtsrecht zusteht, ist höchst umstritten. Um fachliche Eingriffe in die Berufungsautonomie der Hochschule zu erschweren, führte die rot-grüne Regierung 1990 eine Pflicht zur Information und Begründung ein. Das heißt: Der Senator muß eine abweichende Berufungsentscheidung ankündigen und begründen. Wissenschaftssenator Erhardt hat dies auf eine Art getan, die Frauen und Frauenbeauftragte in Rage bringt. So führte er den bisherigen Stelleninhaber Eberhard Lämmert als Zeugen an, der meine, die Frau sei weniger geeignet. Nunmehr haben die wissenschaftspolitischen Sprecher aller Parteien des Abgeordnetenhauses Kritik an seiner Art der Entscheidung geübt. Christian Füller
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen