Atmosphärische Katastrophe

Das frühe Ausscheiden der tunesischen Gastgeber bei den 19. Afrikameisterschaften dämpft die Stimmung in den Stadien gewaltig  ■ Aus Tunis Katrin Weber-Klüver

So ein Debakel hatte Ben Ali, Tunesiens allmächtiger und auf Postern und Plakaten auch allgegenwärtiger Präsident, wohl nicht erwartet, als er verkündete, es sei für das Land wichtiger, bei den 19. Afrikameisterschaften durch eine perfekte Organisation denn durch sportliche Erfolge zu glänzen.

Alis Landeskinder jedenfalls, durchweg patriotisch bis nationalistisch, verfielen in eine kollektive Depression, als ihr Team nicht einmal den Einzug in die heute (Zaire – Nigeria, Ägypten – Mali) und morgen (Sambia – Senegal, Ghana – Elfenbeinküste) stattfindenden Viertelfinalspiele schaffte. Es hatte nichts genutzt, daß die Nordafrikaner in der schwächsten der vier Dreiergruppen spielten; auch nicht, daß sie nach der Eröffnungsniederlage gegen das Defensivbollwerk aus der Fußballprovinz Mali ihren Trainer auswechselten; und erst recht nichts, daß im entscheidenden Spiel gegen Zaire ein syrischer Schiedsrichter der zwölfte Araber auf dem Feld war. Der Mann pfiff unparteiisch.

Für den tunesischen Verband bedeutet das Ausscheiden der eigenen Equipe eine Einbuße an Eintrittsgeldern, die sich hochgerechnet auf eine halbe Million Dollar belaufen dürfte. Ein schmerzlicher Verlust angesichts von Turnierkosten, die das Organisationskomitee mit drei Millionen Dollar beziffert. Ohnehin ist die Finanzdecke dünn. Der afrikanische Fußballverband (CAF) hat die TV- Rechte am Cup für 1,2 Millionen Dollar an die französische Verwertungsgesellschaft „Media Foot“ verkauft, die Aquisition von Sponsoren läßt sich das Schweizer Unternehmen ISL eine Pauschale von 1,1 Millionen Dollar kosten. Diese recht überschaubaren Einnahmen teilt sich die CAF mit den teilnehmenden Verbänden und dem Cup- Veranstalter.

Nur wenige Fans kamen aus Schwarzafrika

Für den weiteren Turnierverlauf ist der Abgang der Gastgeber eine atmosphärische Katastrophe. Nigerias niederländischer Trainer Clemens Westerhof kommentiert den Kulissenschwund so: „Deprimierend. Scheiße.“ Zumal zu dem Desinteresse der Tunesier selbst noch hinzukommt, daß es sich nur wenige Anhänger aus den zehn schwarzafrikanischen Teilnehmerstaaten und auch nicht allzuviele aus Ägypten leisten konnten, nach Tunesien zu reisen. Die Stimmung in den Stadien in Tunis und dem zweiten Spielort Sousse ist bisweilen vergleichbar mit der in der Krefelder Grotenburg.

Immerhin, für einen wie Souleymane Sané, Kapitän der senegalesischen Mannschaft, ist das ein auch aus Wattenscheider Gefilden gewohntes Gefühl. Seit Sané und die Seinen vor zwei Jahren als Gastgeber des Afrika-Cups in Dakar selbst frühzeitig die Segel strichen, müssen sich die Löwen das Attribut zahnlos gefallen lassen. Doch auch ohne Biß reichte der Mannschaft ein unansehnlicher Sieg über Guinea, um das Viertelfinale zu erreichen. Und die Senegalesen sind fraglos noch einige Klassen besser als die Fußballzwerge Gabon und Sierra Leone, denen bei ihren Cup-Premieren nicht ein einziger Torerfolg vergönnt war. Sierre Leone kann es allerdings als Erfolg verbuchen, Sambia ein Remis abgerungen zu haben. Die in ganz Afrika überaus populären Ostafrikaner haben – allseits bewundert – in kürzester Zeit eine neue, spielstarke Mannschaft aufgebaut, nachdem die meisten Nationalspieler im vergangenen April bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren.

Die unangefochtene Spitze des afrikanischen Fußballs aber bildet derzeit Nigeria, in dessen Kader auch mit Abstand die meisten Europa-Legionäre zu zählen sind. Unter diesen ist Frankfurts Jay Jay Okocha auf dem Weg zum Stammspieler der Super Eagles, während Torjäger Rashidi Yekini, Afrikas Fußballer des Vorjahres, hofft, endlich den Wechsel aus dem portugiesischen Setubal zu einem Spitzenclub zu schaffen. Selbst wenn die Nigerianer ihrer Rolle als Titelfavorit wieder einmal nicht gerecht werden sollten, wäre das diesmal kein solches Dilemma. Denn der Cup ist für Nigeria vor allem Vorbereitung unter Wettkampfbedingungen für die Weltmeisterschaft.

Ghanas Team übt sich in Selbstzerfleischung

Den beiden anderen afrikanischen WM-Vertretern, Kamerun und Marokko, gelang die Qualifikation für Tunesien nicht. Dafür scheiterten zwei andere Größen in der WM-Qualifikation: die Elfenbeinküste und Ghana, Finalisten von Dakar, die sich heuer in sehr unterschiedlicher Verfassung präsentieren. Die Elfenbeinküste, die im Senegal mit enervierendem Kurzpaß-Spiel im Mittelfeld überraschend und glücklich den Titel gewann, hat inzwischen einen erfreulichen Offensivdrang entwickelt. Ein Fortschritt, der nicht zuletzt dem polnischen Trainer und Ex- Nationalspieler Henri Kasperczak zuzuschreiben ist. Ghana hingegen fällt, anders als beispielsweise Nigeria oder auch den unerwartet forsch und frisch aufspielenden Ägyptern, der Generationswechsel sichtlich schwer. Noch schlägt sich nur tröpfchenweise nieder, daß die ghanaische U 17 vor drei Jahren Weltmeister wurde. Aus dem damals als Jahrhundertereignis gefeierten Team sind im aktuellen Seniorenkader nur der ausgepowert wirkende Nii Lamptey vom PSV Eindhoven und, als Dauerreservist, Alex Opoku aus Leipzig dabei.

Zudem plagen die Black Stars interne Querelen; dem ghanaischen Coach E.J. Aggrey-Finn wird kaum zugetraut, das Spiel der Eitelkeiten zu beenden. Alt-Superstar Abedi Pele schießt in der Presse gegen Anthony Yeboah und Anthony Baffoe, denen er das Vortäuschen von Verletzungen vorhält; Prince Polley kündigt laufend an, er werde nach Enschede zu seinem Club Twente abreisen, wenn er nicht umgehend eine Stammspieler-Garantie erhalte. Anthony Yeboah schließlich möchte in einem Moment unbedingt und im nächsten auf gar keinen Fall zum Ligaspiel nach Leipzig fliegen. Es müßte einer da sein, der ein Machtwort spräche, einer wie der rigorose Westerhof. Doch der selbstherrliche Niederländer, dessen nigerianische Ära spätestens nach der WM zu Ende geht, ist nach der Schmach Tunesiens schon andernorts geladen. Ben Ali möchte nun doch auch sportlichen Erfolg.