Löwinnengleich

■ „Ich klage an“ – Heute und am Mittwoch, 20.15 Uhr, Sat.1

Die Einladung zur Preview von „Ich klage an“ ließ eher widerwärtige Revanchismusklischees vermuten. Ein Konglomerat an Schlüsselreizwörtern sprang einen an: fiese Stasi, die auch vor menschenverachtenden Zwangsadoptionen nicht zurückschreckt, mutige Mutter (auch noch Thekla Carola Wied), die um ihren verschwundenen Sohn kämpft, kurz: verbrecherische Machenschaften eines menschenverachtenden Systems versus löwinnengleich kämpfende Mutter. Und alles auch noch wahr. Und all das noch im „Jahr der Familie“.

Eigentlich fehlte nur noch „Hexe Margot“ in der Klischeesammlung, mit der Sat.1 und die UFA-Fernsehproduktion die Presse ins „Café Egon Erwin Kisch“ lud. Und wirklich war der Kaffee wie erwartet, allein der erste Teil des Zweiteilers – „alles wollen wir Ihnen nicht verraten“ – war dann doch ganz anders. Mochte sich später auch die Rede von „Zwangsadoptionen“ als billiger Reklamegag erweisen – damit hat der Film kaum was zu tun –, mag man den Titel auch zynisch finden – denn er wiederholt nicht nur Zola, sondern eben auch den Titel des 1941 gedrehten Nazi-Propagandafilms zur „Euthanasiefrage“ (worüber Drehbuchautor Klaus Poche nicht allzu glücklich schien) –, mögen diverse historische Fehler im Detail auch aufstoßen (Es sind Maschinen zu sehen, die es in der DDR nicht gab), so gehört „Ich klage an“ tatsächlich „mit zum Besten, was deutsche kommerzielle Sender in den gut zehn Jahren ihres Bestehens hervorgebracht haben“ (epd).

Das lag nicht so sehr an der Geschichte, die sich schnell erzählen läßt: Vera (Thekla Carola Wied als Mutter) und Jürgen Färber (Peter Sattmann als Bartträger), also ein ziemlich normales DDR-Ehepaar, machen mit ihren zwei herzigen kleinen Kindern Mischa und Martha Urlaub im Harz. Während die Eltern mal kurz zum Ficken ins kleine Auto eilen, verschwindet der blonde (!) Mischa. Alle Suchaktionen sind erfolglos und werden vom MfS sabotiert. Das Mutterleben ist nun sinnlos und leer, denn „mein Sohn, das bin ich“.

Die Eltern kämpfen um ihr Kind, das die Stasi für tot erklären lassen möchte. Aus ganz normalen Eltern werden politisierte DDR- Bürger, die irgendwann in den Knast kommen und vom Westen freigekauft werden. Auch nach der Wende gibt Vera nicht auf und besorgt sich eine Knarre und trifft auf Ex-Stasi-Schergen. Wieso die Stasi den kleinen Mischa entführt, wird zwar nicht klar, die Authentizität der „authentischen Geschichte“ ließe sich sicher anzweifeln, die filmische Darstellung aber ist durchaus gelungen. Selten vermischen sich im ansonsten bieder chronologisch erzählenden Privatfernsehen, spannend und zuweilen auch verwirrend, die diversen Zeitebenen, selten hatte man den Mut zu einer modernen Filmsprache, und daß sich ein Fernsehfilm auf der Hauptprogrammschiene auch einmal Zeit nimmt für dies und das, sich interessiert für die Orte, an denen er spielt, ist tatsächlich ungewöhnlich.

Klischees in der Darstellung der handelnden Personen werden sorgsam vermieden. Inge, Veras Mutter, ist eine sympathisch überzeugende Sozialistin, der böse Stasi-Offizier Kiefer hat auch seine gebrochenen Seiten. Am bösesten ist noch der Anwalt der Eltern, Dr. Mahlmann, der sein Vorbild – den DDR-Chefunterhändler Dr. Vogel – nicht verleugnet. Dieses lobenswerte Bemühen, gerecht zu sein, mit dem die eigentlich banale Erkenntnis hervorgehoben wird, daß in einem Zwangssystem auch der Irrenarzt leidet, ist allerdings auch problematisch. Macht wird anonymisiert, Täter haben kein Gesicht, Wenn doch, dann sind es die mürrischen Mienen der anderen, die für Augenblicke als anonyme Denunzianten durchs Bild scharwenzeln. Detlef Kuhlbrodt