■ Euro-Wahlrecht
: Endlich können Ausländer wählen

Ein wichtiger Schritt ist erreicht: Ausländerinnen und Ausländer dürfen sich erstmals in der Bundesrepublik an politischen Wahlen beteiligen. Für den Einstieg in das Ausländerwahlrecht der Bundesrepublik ist das ein historisches Datum. Die meisten Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union wissen allerdings nicht, daß sie am 12. Juni gleichberechtigt mit Deutschen das Europäische Parlament wählen können.

Unvorbereitet traf das europäische Ausländerwahlrecht auch die meisten Verantwortlichen in den Verwaltungen. Das ist nicht dadurch zu entschuldigen, daß Bundestag und Bundesrat die entsprechenden Gesetze erst Ende Februar dieses Jahres verabschiedet haben. Schließlich war seit Monaten bekannt, daß bei den Europawahlen auch erstmals Ausländer hier mitwählen können. Manche von ihnen werden zum ersten Mal in ihrem Leben wählen. Darauf sind sie vorzubereiten. Das erfordert Diskussionen in ausländischen Vereinen, Kontaktgespräche mit Ausländerbeiräten, Informationskampagnen in den Betrieben, in Medien oder bei kirchlichen Veranstaltungen. Es gibt Behauptungen, daß die Wahlbeteiligung bewußt erschwert worden sei. Begründet wird das damit, daß sich die verantwortlichen politischen Parteien nicht viele Stimmen von den Ausländern versprechen. Für die CSU in Bayern mag das zutreffen. Dort besteht die Sorge, an der Fünfprozentklausel zu scheitern, und eine starke Beteiligung von Ausländern würde die Chancen der CSU sicher schmälern, da kaum anzunehmen ist, daß viele Ausländer eine Partei wählen, die Ängste vor Überfremdung zum Hauptthema ihres Wahlkampfes macht. Generell zeigt diese Planung jedoch eher, daß an die ausländischen Wählerstimmen schlicht nicht gedacht worden ist. Bisher waren die meisten Politiker und Parteien an den Stimmen der Ausländer nicht interessiert. Die jetzt einsetzende Mobilisierung von ausländischen Wählerinnen und Wählern kommt zu spät. Zwar ist es erfreulich, daß vom Bundespresseamt ein Faltblatt in den Sprachen der EU mit Informationen über das Wahlrecht und die Wahlrechtsvoraussetzungen in hoher Auflage erstellt wird – verteilt wird die Wahlanleitung jedoch erst nach Ostern. Für die Motivierung der ausländischen Wahlberechtigten bleibt nur wenig Zeit: Wenn sie hier wählen wollen, müssen sie dafür bis zum 9. Mai einen Antrag beim Wahlamt ihrer Gemeinde stellen. Ob der von Ausländerbeiräten, gewerkschaftlichen und kirchlichen Gruppen vorgeschlagene Aktionstag am 23. April bundesweite Beachtung findet, ist fraglich. Immerhin könnte er dazu beitragen, daß Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen das Ausländerwahlrecht ins Gespräch bringen. Vielleicht können Veranstaltungen zum 1. Mai zusätzlich dazu motivieren, einen Antrag zu stellen. Trotzdem ist absehbar, daß nach dem 12. Juni auf die geringe ausländische Wahlbeteiligung hingewiesen wird. Damit wird dann gegen erweiterte Wahlmöglichkeiten für andere Ausländer argumentiert. Eine geringe ausländische Wahlbeteiligung kann jedoch nicht den ausländischen Wahlberechtigten angelastet werden.

Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament wird sich zeigen, wie weit sich die Bevölkerung mit der europäischen Einigung identifiziert. Das Unionsbürgerrecht ist ein Signal gegen Nationalismus und Rassismus. Schon deshalb ist eine breite politische Mitwirkung erforderlich.

Ausgesprochen aktiv sind seit Monaten die griechischen Parteien und Politiker. Landauf, landab organisieren sie in Deutschland Veranstaltungen, damit ihre Landsleute den Parteien und Politikern im Heimatland ihre Stimme geben. Bisher war die Heimatorientierung vieler Griechen verständlich, da sie hier keine politischen Einflußmöglichkeiten hatten. Das hat sich durch die Europawahl verändert.

Es ist im Interesse unseres Staates, die fast 350.000 Griechen hier, wo sie ihren Lebensmittelpunkt haben, auch politisch zu integrieren. Zu den Integrationsaufgaben gehört es auch, daß die noch nicht wahlberechtigten Ausländer bei den Kommunalwahlen künftig beteiligt werden. Nach den Europawahlen muß dafür eine breite Kampagne beginnen, denn es wirkt sich in hohem Maße desintegrativ aus, wenn die große Gruppe der 1,8 Millionen hier lebenden Türken keine kommunalen Wahlmöglichkeiten erhält. Dazu gehört es auch, Deutsche auf das Ausländerwahlrecht vorzubereiten. Manche Parteien haben noch vor wenigen Jahren mit einer Stimmungsmache gegen das Ausländerwahlrecht Wahlen zu gewinnen versucht. Deswegen sind die Einheimischen noch nicht darauf vorbereitet, daß nun Portugiesen, Italiener oder Briten gleichberechtigt bei den Wahlen mitentscheiden können. Um hier Zwischenfälle zu vermeiden, ist die Bevölkerung darüber zu informieren. Im Ausland wird interessiert beobachtet, wie die Europawahlen in Deutschland ablaufen.

Das Wahlrecht von Ausländern kann dazu beitragen, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Wo fremdenfeindliche und rassistische Stimmungen zum Stimmenfang mißbraucht werden, da sind breite Proteste aus der Bevölkerung nötig. Bei Debatten könnten sich sachliche Argumentationen durchsetzen, wenn sich Ausländerinnen und Ausländer beteiligten. Vielleicht kann dadurch ein Stimmungsumschwung in der Bevölkerung eintreten, der zur Überwindung von Ausländerfeindlichkeit und Angst beiträgt. Fremdenfeindliche Parteien und Politiker sind europafeindlich. Sie sollten im Europäischen Parlament möglichst wenig Sitze erringen. Deswegen zählt jede Stimme. Jürgen Micksch

ist Interkultureller Beauftragter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau