"Ich betreibe alle Politik als Frauenpolitik"

■ Hildegard Hamm-Brücher, Kandidatin für das Bundespräsidentenamt, über Frauen in und außerhalb der Politik, die Malaise der Demokratie, die Infektionsgefahr durch die Rechten, die...

taz: Frau Dr. Hamm-Brücher, am 8. 3. gab es einen Frauenstreik in Deutschland. Wie fanden Sie diese Idee?

Hildegard Hamm-Brücher: Gut. Die Frauen haben bisher immer wieder zurückgesteckt, um sozusagen „kein Spektakel“ zu machen – mit der Ausnahme Paragraph 218. Man muß sich darüber verständigen, wer Solidarität am dringendsten braucht, arbeitslose Frauen zum Beispiel.

In der BRD sollte der Streik darauf aufmerksam machen, daß Diskriminierung trotz formaler Rechte wirksam bleibt.

Ja, aber auf diesen Mißstand, daß die gesetzliche Gleichstellung nicht zur wirklichen Gleichberechtigung geführt hat, wird ja immer wieder hingewiesen. Übrigens glaube ich, daß die drei größten Defiziträume hier die Wirtschaft, die Kirchen und die Wissenschaft sind, nicht die Politik: Unsere Münchner Stadtratsfraktion zum Beispiel besteht nur noch aus Frauen. Da ist die FDP wieder ganz gut ...

Hat die heutige FDP noch Ähnlichkeit mit der Partei, der Sie vor über 40 Jahren beigetreten sind?

Die FDP war eine kulturgeschichtlich kämpferische Partei: gegen Klerikalismus und Obrigkeitsstaat, für Toleranz und Freizügigkeit. Wir wurden in Bayern angepestet wie später die Grünen, ich speziell galt als die Versuchung in Person ...

Von dieser FDP ist nicht viel übriggeblieben.

Ja, die Wandlung, die alle Parteien durchgemacht haben, ist der FDP besonders schlecht bekommen. Ich meine die „Verapparatung“ der Partei, in der heute die Willensbildung und die Entscheidungsstränge von oben nach unten gehen statt von unten nach oben ...

... und die heute ein Synonym für Filz geworden ist.

Nun ja, Filz – das würde ich so nicht sagen. Aber immerhin ein Synonym für eine einseitig wirtschaftspolitische Orientierung, in der kulturelle Erneuerung, gesellschaftliche Kämpfe zur Verbesserung der Demokratie ausbleiben.

Die FDP hat Ihnen viel zu verdanken – unter anderem, daß zweimal nur durch Sie im bayerischen Landtag überhaupt eine FDP- Fraktion einziehen konnte. Sie wiederum haben sich 1982 ganz loyal verhalten. Sie sind nicht ausgetreten.

Ich stand an solchen Grenzen, und ich habe ja auch 1989 meinen Rückzug aus der Politik angekündigt, weil ich mich in der Politik der FDP nicht wiederfinden konnte, übrigens schon vor dem Fall der Mauer. Aber ein Eklat, ein Austritt aus der Partei, hätte gar nichts gebracht. Jemand, der austritt, ist eben weg vom Fenster. Und ich habe durchhalten wollen, ich habe auch 1982 vielen Leuten den Gefallen nicht tun wollen, auszutreten ... Das hat auch mit meiner emotionalen Bindung an die Liberalen zu tun, mit Theodor Heuss als dem großen politischen Vorbild meiner ersten „Entpuppungsphase“ im doppelten Sinne: die junge Frau als Puppe und der Schmetterling, der aus der Puppe herausmuß. In eine andere Partei wollte ich nicht ...

Die SPD kam vermutlich schon vom Milieu her nicht in Frage?

Da hat meine konventionelle Herkunft aus einer gutsituierten bürgerlichen Familie sicher eine Rolle gespielt: schlimm genug, daß ich mich überhaupt für Politik interessierte ... In der SPD wäre ich kreuzunglücklich geworden.

Warum?

Ja, diese Kameraderie auf der einen Seite, die Machtkämpfe auf der anderen, das liegt mir nicht. Und dann duzen sich alle ... Nein, meine Blutgruppe ist schon die der FDP. Und jetzt endet es ja auch ganz versöhnlich; diese Dankbarkeit, von deren Gründen Sie gesprochen haben, die spüre ich jetzt sehr deutlich.

Frau Dr. Hamm-Brücher, Sie führen einen Doppelnamen, was heute beinahe üblich ist. Aber 1954 war das doch ein Politikum?

Auf diesem Gebiet war ich eine echte Pionierin. Ich habe jahrelang juristisch dafür kämpfen müssen. Ich war unter dem Namen Brücher als FDP-Politikerin bekannt geworden und habe ja dann einen CSU-Mann geheiratet, und dessen Namen konnte und wollte ich – als parlamentarische Oppositionelle – nun wirklich nicht tragen. Das war ein regelrechter Skandal damals, man kann sich das heute kaum noch vorstellen: Was ist das denn für eine Frau, hieß es immer wieder, die den Namen ihres Mannes nicht annehmen will? Erst sehr viel später, in den sechziger Jahren, haben andere Frauen für ein liberaleres Namensrecht gekämpft.

Sie sind jetzt 72 Jahre alt. Für einen männlichen Bundespräsidenten kein Problem: Heinrich Lübke und Gustav Heinemann amtierten bis zum Alter von 75, Richard von Weizsäcker ist 1920 geboren ... Aber für Sie?

Es hat etwas Bedrückendes, weil man sich mit über siebzig Jahren doch fragt, selbst wenn man sich noch so fit fühlt: Wie geht's dir in fünf Jahren? – Immerhin habe ich spezifische Erfahrungen auf meiner Seite: Ich war sechs Jahre im Auswärtigen Amt schon gewissermaßen die Verbindungsfrau zum Bundespräsidentenamt, und fast jede Reise, jeden Staatsbesuch vom damaligen Bundespräsidenten, Herrn Carstens, habe ich als Vertreterin von Herrn Genscher mitgemacht. Ich weiß also recht genau, was auf eine Bundespräsidentin zukommt, aber ich kenne auch diesen fantastischen Apparat, der da zur Verfügung steht, von Redenschreibern bis Beratern. Da würden sich schon mehr Freiräume und Handlungsmöglichkeiten ergeben als in meinem jetzigen Leben, wo ich jeden Brief selbst öffne und beantworte und mich immer wieder frage, ob ich diese Rede noch fertig schreiben kann, und jenes Referat ... Also, das kann nur besser werden.

Die Grünen sind bei ihrem Einzug in den Bundestag nicht gerade freundlich aufgenommen worden; Sie gelten als eine der raren Ausnahmen. Wie erinnern Sie diese Zeit?

Ich habe die Grünen von Anfang an als eine Wohltat empfunden: daß diese starre parlamentarische Ordnung einmal durcheinandergebracht wurde! 1969 oder 70 hat der parlamentarische Präsident noch eine Kollegin aus dem Parlament geschickt, weil sie einen Hosenanzug trug, übrigens mit einer Jacke bis übers Knie ... da waren die Grünen mit ihrer Mischung aus Provokation und Unbefangenheit wichtig und gut. Und die Frauen waren klasse: Waltraud Schoppe, die gleich erst mal alle aus dem Nähkästchen geschmissen hat mit ihrer legendären Rede, Antje Vollmer, Christa Nickels ... Rainer Barzel, der damalige Bundespräsident, hat zum Ärger seiner Partei das außerdem sehr tolerant und souverän gehandhabt.

Bei den Grünen waren die Frauen ja deshalb so stark, weil es die Quotierung gab.

Ja, ich habe immer gehofft, das machen mal andere, weil wir in der FDP das nicht machen können ... Bei den Liberalen sind es auch ohne Quotierung etwa ein Drittel, in der Fraktion vielleicht nicht ganz.

Wollten oder konnten Sie die Quotierung nicht durchsetzen?

Ich bin da eigentlich gespalten. Für mich selbst wäre ich nie für eine Quote, weil ich mich nicht aufgrund dessen behaupten wollte, aber ich finde die Quotierung doch richtig, denn ohne daß man es einmal durchexerziert, ändert sich ja nichts.

Auf einer Tagung über Frauen in der Wissenschaft, wo Sie als promovierte Chemikerin mit auf dem Podium saßen, hatte ich den bestimmten Eindruck, es handle sich auch um eine Generationenfrage. Alle Akademikerinnen in Ihrem Alter wiesen weit von sich, überhaupt diskriminiert worden zu sein – aber sie waren eben auch Ausnahmen, jene, die „es geschafft hatten“.

Ja, aber so ist es: Ich bin an der Uni weit weniger diskriminiert worden als später in der Politik. Man wurde an der Uni beäugt, wir waren seltene Vögel – aber wenn man seine Arbeit ordentlich machte, wurde die nicht entwertet.

Sie wurden in der Politik als Frau diskriminiert, sind aber mit „Frauenpolitik“ im klassischen Sinne nicht bekannt geworden.

Nun ja, ich habe alle Politik als Frauenpolitik betrieben. Schulpolitik, Abschaffung der Konfessionsschule, Zugang für Mädchen zu weiterführenden Schulen, von Frauen zum städtischen Orchester: Im Münchner Stadtrat habe ich beispielsweise durchgesetzt, daß die MusikerInnen hinter Vorhängen vorspielen mußten bei der Bewerbung für die Philharmonie. Mit meinem Mann habe ich das erste Wohnhaus für berufstätige und alleinerziehende Frauen durchgesetzt; nach dem Krieg mußten solche Frauen zur Untermiete wohnen, ohne die Möglichkeit jeglichen Privatlebens. Es gibt eine lange Liste solcher Aktivitäten, aber man nannte das damals nicht „Frauenpolitik“, ich auch nicht.

Damit ist es Ihnen ja auch in Ihrer langen politischen Karriere gelungen, der speziellen Entwertung, die der „Frauenpolitik“ anhaftet, zu entgehen.

Ja, das stimmt. Aber ich würde Frauen auch immer wieder raten, beides zu machen, Frauenpolitik und mindestens ein Sachgebiet sich zu erarbeiten, auf dem sie sich mit Männern messen können. Obwohl ich bewundere, mit welcher Konsequenz Waltraud Schoppe eben „nur“ Frauenpolitik macht.

Da hat sich offenbar Ihre Sichtweise verändert?

Ja, meine Haltung hierzu hat sich vollkommen geöffnet, aber es haben sich ja auch die politischen Konstellationen verändert. Damals wäre ich mit reiner Frauenpolitik im Abseits gelandet – übrigens auch bei den Frauen.

Ihre Bewerbung für das Bundespräsidentenamt geht auf eine Fraueninitiative zurück, die sehr schnell von Ihrer Partei geschluckt wurde. Heute sind Sie keine Frauenkandidatin mehr, sondern eben die Kandidatin der FDP.

Ja, das ist leider wahr. Trotzdem ist es wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, daß das Geschlecht auch bei einem solchen Amt eine Rolle spielt. Nichts gegen Richard von Weizsäcker, der ein wirklicher Grandseigneur ist, ein wunderbarer Redner – aber es ist doch kühl um ihn. Die totale Identifizierung mit denen, die es schwerer haben im Leben, ist etwas, was Frauen sehr viel leichter fällt, und das könnte auch Vertrauen in die Demokratie in gesellschaftlichen Kreisen herstellen, wo dieses Gefühl bisher keine große Rolle spielt.

Was den Zustand der Demokratie betrifft, so haben Sie ihn als Malaise bezeichnet: also keine Erkrankung, aber ein deutlicher Mangel an Wohlbefinden. Wie ernst ist diese Malaise?

Nun, der in der Verfassung vorgesehene Kreislauf funktioniert nicht mehr: der zwischen dem Artikel 20 – die Staatsgewalt geht vom Volke aus –, dem Artikel 21, der die Mitwirkung der Parteien am Staate beschreibt, und dem 38, der die Volksvertretung als erste Gewalt konstituiert und den Abgeordneten zum Vertreter des ganzen Volkes macht, der an Weisungen nicht gebunden ist. Die Parlamente sind nicht mehr Volksvertreter, sondern Additionen der Parteien, und die Politiker selbst sind nicht imstande, das anzugehen. Hier müssen die Bürger mit Pressure-groups einiges korrigieren; der Bürger muß im Mittelpunkt stehen, nicht die Partei.

Die Gründung diverser neuer Parteien kann also an dieser Malaise nichts ändern.

Nun, wenn wirklich eine NEUE Partei aufträte, vergleichbar mit den Grünen damals ... Aber es bleiben ja doch immer nur 4 Prozent der Bevölkerung, die sich in Parteien engagieren, und die übrigen 96 Prozent müssen sich endlich artikulieren.

An rechtsradikalen Artikulationen fehlt es ja nicht.

Ja, aber mit denen würden wir schon fertig werden ... Was mich besorgt – und zwar nicht bis zur Alarmstufe 1, aber doch kurz davor –, ist die Infektionsgefahr ins konservative Lager hinein. Alle Vorformen des Rechtsradikalismus – diese übertrieben nationalistischen Töne, die Überheblichkeit unserer „Vormachtstellung“, die Distanz zu anderen Rassen und die oft mangelnde Sensibilität – sind wirklich besorgniserregend.

Würde sich manches gleichsam naturwüchsig verändern, gäbe es mehr Frauen in der Politik?

Nun ja, naturwüchsig ... Eine Erfahrung kann ich hier mitteilen: In der Mitte der achtziger Jahre gab amnesty international eine Aufstellung über Menschenrechtsverletzungen an Frauen heraus, die mich sehr schockiert hat. Ich habe dann mit Politikerinnen aus allen Fraktionen versucht, daraus eine große Anfrage zu machen – und bin auf große Skepsis gestoßen. Immerhin, es fanden sich genügend Frauen aus allen Fraktionen, aber es hat ein ganzes Jahr gedauert, bis diese Anhörung zustande kam, und wieder ein Jahr, bis eine Debatte im Bundestag geführt wurde, und die Antwort der Bundesregierung war, wie zu erwarten, Wischiwaschi ... Und damit war die Frauensolidarität auch schon wieder zu Ende. Insgesamt bringen Frauen dennoch mehr Empfindungen in die Politik ein, mehr Mitleidensfähigkeit – aber im Konkreten ist es dann doch sehr schwierig.

Mit Hildegard Hamm-Brücher sprach Elke Schmitter.