Unfall im abgeschalteten AKW

Der Opa vom schnellen Brüter von Creys-Malville ist zwölf Jahre nach der Abschaltung noch tödlich / Angeblich keine Strahlung  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Zwölf Jahr nachdem es abgeschaltet wurde, ist das AKW mit dem musischen Namen „Rapsodie“ immer noch tödlich: Am Donnerstag nachmittag starb ein 59jähriger Arbeiter im Inneren des 40 Kilometer nördlich von Aix-en- Provence gelegenen Forschungsreaktors. Vier seiner Kollegen erlitten teilweise schwere Verletzungen. Die Techniker des französischen Atomenergiekommissariats (CEA) waren zu Entsorgungsarbeiten in den Reaktor gegangen. Ihr Arbeitgeber teilte schon kurz nach dem Unfall mit, daß die Opfer keine Anzeichen von radioaktiver Strahlung zeigen.

Die Männer wollten einen mit an die hundert Kilo flüssigem Natrium gefüllten Schacht im Primärkreislauf entleeren, der mit Cäsium 137 und Tritium radioaktiv kontaminiert war. Natrium wurde in „Rapsodie“ als Kühlmittel verwendet. Nach Angaben der CEA kam es bei den Reinigungsarbeiten zu einer „chemischen Reaktion“. Die Verbindung zwischen dem Natrium und dem alkoholhaltigen Reinigungsmittel setzte hochexplosiven Wasserstoff frei. Die Explosion führte zum Einsturz einer 300 Quadratmeter großen Betonplatte, die mehrere Arbeiter unter sich begrub. Feuerwehrkommandos mit Spürhunden fanden die letzten Verletzten erst fünf Stunden nach dem Unfall.

„Rapsodie“ war Ende der 60er Jahre als Neutronenforschungsreaktor in Betrieb gegangen. Er ist ein Großvater des schnellen Brüters von Creys-Malville. Nach 16jähriger Nutzung wurde „Rapsodie“ 1984 abgeschaltet. Seither laufen Entsorgungsarbeiten, deren Ziel die Umwandlung des Reaktors in ein Labor zur Brennstoffanalyse ist. Nach dem Unfall vom vergangenen Donnerstag muß diese Frage jetzt neu diskutiert werden. Der kleine Reaktor steht auf dem mehrere Hektar großen Atomforschungsgelände Cadarache. Ende vergangenen Jahres lud Frankreich JournalistInnen aus aller Welt dorthin ein, um einen schweren Atomunfall in einem Mini-Reaktor vorzuführen. Das Experiment, das die Kontrollierbarkeit eines „größten anzunehmenden Unfalls“ (GAU) vorführen sollte, scheiterte und mußte vorzeitig abgebrochen werden. Die französischen Atomforscher ließen sich jedoch nicht entmutigen: Der simulierte GAU wird demnächst wiederholt.

Atomkritiker bezweifeln die offizielle Darstellung

Atomkritiker bezweifelten gestern, daß bei dem Unfall in „Rapsodie“ wirklich keine Radioaktivität ausgetreten sei. Jean-Luc Thierry von Greenpeace wies darauf hin, daß das Natrium schließlich kontaminiert gewesen sei. Der Unfall in „Rapsodie“ sei ein deutliches Zeichen für die ungleich größeren Gefahren, die von dem schnellen Brüter ausgingen.

Nach mehrjährigem Stillstand wegen schwerer Zwischenfälle mit dem dort ebenfalls verwandten Kühlmittel Natrium soll der schnelle Brüter in diesem Jahr wieder angeschaltet werden. Am 9. April beginnt deswegen ein mehrwöchiger Protestmarsch, der von Creys-Malville bis nach Paris führen soll (Informationen unter Tel. 00 33-78 28 29 22 bei Europeéns contre Superphénix).

Solange die CEA auf einer „chemischen Reaktion“ als Unfallursache beharrt, stellt sie ihr Abrüstungsprogramm für abgeschaltete Atomreaktoren nicht in Frage. Gerade in der Entsorgung und Abrüstung von strahlenden AKW- Ruinen liegt eine der größten Herausforderungen für die Atomindustrie. Und damit wird nicht nur Frankreich künftig immer mehr zu tun haben.