Landratten-Schiffbruch bei seichter See

■ Thalia- FreitagNacht: Premiere von Coline Serreaus „Ich, Seemann ohne See“

Ist der Titel nicht wunderschön? Ich, Seemann ohne See - wie das klingt. Und wieviel da mitschwingt! Die unstillbare Sehnsucht, sucht sie sich nicht oft nautisches Vokabular? Trivialmythen erzählen davon. Als Hamburger fällt einem natürlich zuerst Hans Albers ein und sein klagender Ausruf als singender Seemann in dem Film „Große Freiheit Nr. 7“: „Ne stinkige Landratte hamse aus mir gemacht.“

Und ist nicht auch das melancholische Bewußtsein desjenigen in diesen vier Wörtern enthalten, der sich nicht in seinem eigentlichen Element weiß und deshalb das Gefühl hat, ein falsches Leben zu leben? Wie weit ist es etwa bis zu Kafkas paradoxhaften Gleichnis von der Seekrankheit auf dem Lande? Das Gefühl der fundamentalen Weltfremdheit, das er darin faßte, ist jedenfalls bestimmt nicht fern.

Mit Seefahrerromantik und Fernweh hat das Einpersonenstück von Coline Serreau, das diesen schönen Titel trägt und in der letzten FreitagNacht im Thalia gezeigt wurde, allerdings nur bedingt zu tun. Dafür versetzt es die Bretter des Theaters in das, zugegeben: leichte Schwanken von Schiffsplanken bei mittlerer See. (Daß kein schwerer Seegang daraus wurde, lag an der seichten Regie Wenka von Mikulicz' und dem allzu ausschließlich an Volldampf interessierten Spiel von Markus Völlenklee.)

Einen Seemann hat es an Land verschlagen und dort ausgerechnet ins Schauspielerdasein. Redlich müht er sich, das Publikum zu unterhalten, und erleidet doch mit seiner Possenreißerei und faden Witzen nur erneut Schiffbruch. Einmal im falschen Element, wird eben alles zum Falschen. Zudem erhält der Ex-Seemann, jetzige Schauspieler Instruktionen von einer unsichtbar bleibenden Theaterdirektion, die konventionelles Theater fordert: Figuren, Themen, Dialoge. Aber der Schauspieler verstrickt sich immer wieder ins Chaos seiner Einfälle, im Wirrwarr der von ihm angerissenen und wieder vergessenen Figuren. Er hat die Orientierung verloren: Seekrankheit auf dem Theater.

Coline Serreau, deren Stück Hase Hase seit Jahren landauf, landab die deutsche Theaterlandschaft durchfährt, hat mit Ich, Semmann ohne See fast ein Nichtstück geschrieben. Ein gestrandeter Seemann segelt nicht mehr auf dem Meer, sondern auf den Untiefen des Geschwätzes und nahe den Klippen der Charge. Das ist fast schon alles - wenn da nicht dieses untergründige Schwanken wäre. Gegen Schluß sagt der Ex-Seemann Sätze wie: „Das Nichtgesagte sammelt sich hinter meinen Zähnen wie bleischwere Steine.“ Und einmal sahen die Lichter an der Decke des Mittelrangfoyers im Thalia wie der Sternenhimmel aus. Also doch: die Sehnsucht.

Dirk Knipphals