Lieber „Anschiß von oben“ als Dienstweg

■ Bildungsbehörde will bürokratisches Beschaffungsunwesen reformieren: „Verantwortung“ unten

Nora B. ist eine rechtschaffene Beamtin in ziemlich gehobener Position. Eines Tages tauchte in ihrem Büro ein Problem auf, das in der öffentlichen Verwaltung öfter mal auftaucht: Sie mußte ihre Akten irgendwo unterbringen. Das fand auch die Haushaltsabteilung ihres Ressorts. Also ließ sich Nora B. den Beschaffungskatalog von der zentralen Beschaffungsabteilung bei der Senatskommission für Personalwesen (SKP) kommen, und sie mußte sich erstmal setzen, denn was da im Angebot war, das war erstens häßlich, zweitens teuer und drittens hätte sie Wochen warten müssen. Da blickte sie auf ihre Akten, die schnell einen Platz haben sollten und faßte den Entschluß, etwas zu tun, was sie eigentlich nicht darf. Am Samstag darauf fuhr sie zu einem nicht unbekannten schwedischen Möbelhaus, kaufte dort ein Regal, baute das in ihrem Büro auf, stellte ihre Akten und ging dann zur Haushaltsabteilung ihres Senatsressorts zwecks Begleichung der Rechnung. Der zuständige Beamte blickte sie scharf aber wissend an, ermahnte noch einmal streng, daß sie das aber nicht dürfe und daß er sie tadeln müsse, und dann durfte sie wieder zurück in ihr Büro. Und da stand ein Regal, das doppelt so schön war wie das aus dem Beschaffungskatalog und zudem nur halb so teuer. Und nicht zuletzt zehnmal so schnell da, wo es hinsollte. Vom eingesparten Verwaltungsaufwand ganz abgesehen.

Nora B. („Schreiben Sie bloß nicht meinen Namen!“) und ihr Regalerlebnis („Und schreiben Sie bloß nicht, wo ich arbeite!“), das ist beileibe kein Einzelfall. Aus den Verwaltungen selbst wächst der Druck, die langen Wege der Beschaffung abzukürzen. Und was die ewigen Klagen nicht geschafft haben, der Sparzwang befördert diese Initiativen. Sowieso hat sich bei vielen der krumme Weg eingebürgert, der viel gerader zu sein scheint als der vorgeschriebene. Motto: „Da hol ich mit lieber den Anschiß von oben.“

So manche treue BeamtIn erspart sich die Nervereien und den Papierkrieg und die ewigen Wartezeiten und nicht zuletzt die hohen Extrakosten und kauft das Nötigste sogar auf eigene Faust. Eigentlich hatte im Büro einer Sachbearbeiterin beim Sozialamt West nur ein Regalbrett gefehlt, aber das erwies sich für den Behördenweg als so kompliziert, daß die Frau kurzerhand selbst zum Baumarkt fuhr. Bezahlt hat sie selbst: „Die fünfzehn Mark waren noch drin.“ Und weil es vielen ihrer KollegInnen genauso ging, bieten die Büros dort mittlerweile ein buntes Bild: „Um die Akten unterzubringen, haben die Leute dann schon das Regal aus der Haushaltsauflösung ihrer Oma reingestellt.“

Mittlerweile regt sich Widerstand gegen die unsinnig komplizierten Antragsverfahren und teuren Kataloge sogar aus der Beschaffungsabteilung der Bildungsbehörde. Dabei geht es nicht um die überteuerten Preise der Beschaffungsliste, sondern um den für Außenstehende unglaublichen Verwaltungsaufwand, der mit jedem Kauf verbunden ist. Im Januar kam aus der Beschaffungsabteilung des Bildungssenators ein Papier, das vier Fallbeispiele beschreibt und akribisch der Frage nachgeht: Wieviele Menschen sind wie lange beschäftigt, wenn die Schule X das Gerät Y anschaffen will?

Fall A: Eien Schule will ein Gerät für denb Physikunterricht kaufen, Kostenpunkt 1.000 Mark. Die Schule wählt den Weg über die Beschaffungsabteilung der Bildungsbehörde, und am Ende sind 38 Menschen bis zu 222 Minuten lang beschäftigt. Dauer der Verwaltungsprozedur: bis zu 28 Wochen.

Fall B: Eine Videokamera im Wert von 2.000 Mark soll für eine Schule angeschafft werden, unglücklicherweise über die zentrale Beschaffungsstelle bei der SKP. Da hat die Verwaltung gut zu tun. Denn bis die Kamera die Schule erreicht hat und auch bezahlt ist, haben sich inklusive Behördenpost, Sachbearbeitung, Buchung und so weiter 53 Köpfe im öffentlichen Dienst mit dem Fall beschäftigt. Dauer des gesamten Verfahrens: bis zu 39 Wochen, ohne Lieferzeit. Arbeitszeit insgesamt: knapp gerechnet 229, gut gerechnet 300 Minuten. Wenn der Bedarf an einer Kamera zu Beginn des Schuljahres festgestellt wird, kann damit dann die Abschluß der Klasse aufgenommen werden.

Die Suche der Beschaffungsabteilung nach Auswegen wird von der Spitze des Bildungsressorts kräftig unterstützt. „Das ist der richtige Sparasnsatz, das ist echte Verwaltungsreform“, sagt Jürgen Holtermann, Referatsleiter beim Bildungssenator. „Und wir machen das nicht mit einer teuern Unternehmensberatung, sondern mit Leuten aus dem Ressort.“

Seit zwei Jahren arbeiten MitarbeiterInnen der Bildungsbehörde an der Reform. Der Ausweg, den sich die Autorin des Papiers zum Beschaffungsunwesen ausgedacht hat, ist denkbar einfach: Die Schule bekommt jedes Jahr ein Budget für Anschaffungen, damit muß sie auskommen. Also hat sie auch genügend Eigeninteresse daran, so billig wie möglich einzukaufen.

Doch leider wird das Papier bislang allein als Dokument einer verschwenderischen Verwaltung herumgereicht. Jochen Grabler