Bundesregierung auf dem Stand der 60er Jahre

■ EU will Geld in Neufünfland auch für Umweltschutz investieren / Rexrodt nicht

Berlin (taz) – Zwischen der EU- Kommission und dem deutschen Wirtschaftsministerium herrscht Streit. Günter Rexrodts Mannen haben bei ihren Vorschlägen für die Regionalförderung in den neuen Bundesländern in die Mottenkiste gegriffen: Die aus den 60er Jahren stammende „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GA) soll als Grundlage für die Verteilung der EU-Mittel in Ostdeutschland dienen. Danach gelten ausschließlich Produktivinvestitionen und der Ausbau von Gewerbegebieten als unterstützungsfähig. Regionales Wachstum soll durch überregionalen Absatz erreicht werden. „Wir wollen den Schwerpunkt auf Beschäftigungsförderung legen“, so die Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums, Claudia Seltmann.

Gegner des Programms bezweifeln nicht nur den Jobzuwachs. Denn allein zwischen 1991 und 1993 wurden in den neuen Bundesländern etwa 2.800 Gewerbegebiete, überwiegend auf der grünen Wiese, ausgewiesen – und die meisten sind noch lange nicht voll belegt. Vor allem aber setzt das Konzept ausschließlich auf Wirtschaftswachstum, ohne Rücksicht auf Umweltschutz und andere Maßnahmen zur Angleichung der Lebensverhältnisse.

Die EU hat sich demgegenüber inzwischen zu einem etwas moderneren Strukturförderansatz durchgerungen. Auch Investitionen fürs Bildungs- und Gesundheitswesen, für Forschungsvorhaben und Umweltschutzmaßnahmen sollen unterstützt werden, um die Lebensverhältnisse anzugleichen. Gegenwärtig ringen Experten aus Bonn und Brüssel darum, wie die 27,5 Milliarden Mark EU-Gelder zwischen 1994 und 1999 in den neuen Bundesländern ausgegeben werden sollen. Die Zeit drängt: Viele Projekte in Ostdeutschland liegen bis zu einer Einigung auf Eis.

Die EU-Regionalförderung ist daran gebunden, daß 50 Prozent der Gesamtunterstützung von den Mitgliedsstaaten selbst finanziert werden. In der Bundesrepublik teilen sich Länder und Bund die Kosten. Nur das relativ reiche Land Sachsen hat ausgehandelt, daß auch Abwasserprojekte aus der EU-Kasse gefördert werden – allerdings muß es dafür den sonst vom Bund übernommenen Teil mitbezahlen. Das Bonner Konzept nämlich sieht Trink- und Abwasserprojekte nur dann als förderungswürdig an, wenn sie zu mindestens 51 Prozent der Industrie zugute kommen.

Gerade daran üben Bundesumweltminister Klaus Töpfer und seine Amtskollegen aus den Ländern hinter vorgehaltener Hand Kritik: 1,2 Millionen BundesbürgerInnen in Ostdeutschland müssen beispielsweise ihren Kaffee mit Wasser brühen, das gesundheitsgefährdende Belastungen durch Nitrate aufweist. Die EU will Investitionen zur Verbesserung dieser Situation auch durchaus unterstützen; nur das Wirtschaftsministerium stellt sich quer. – Dabei hat die GA in westdeutschen Regionen, wo sie bisher angewandt wurde, nicht einmal wirtschaftlich viel erreicht, wie das Katalyse-Institut in Köln nachweist. „Der übermäßige Anteil von Erweiterungsinvestitionen mit 63 Prozent verdeutlicht, daß bestehende Strukturen gefestigt wurden, anstatt einen Strukturwandel zu unterstützen“, heißt es in einer Studie. Außerdem profitierten vor allem Großbetriebe von den Staatsgeldern. Die Kapitalintensität für einen hochwertigen Arbeitsplatz nahm von Jahr zu Jahr zu, so daß immer weniger neue Jobs geschaffen wurden.

Hinzu kommt, daß eine Lkw- Lawine die Straßen verstopft: Die Fixierung auf überregionalen Absatz fördert das Verkehrsaufkommen. Völlig unnötig: Denn gerade in den neuen Bundesländern hat sich in den letzten Jahren gezeigt, daß vor allem kleine und mittelständische Betriebe, die sich auf den regionalen Markt konzentrieren, die besten Chancen haben. Annette Jensen