: Wachwechsel in Arafats Hauptstadt
Noch in dieser Woche, so das Ergebnis der laufenden Autonomieverhandlungen zwischen Israel und der PLO in Kairo, sollen palästinensische Polizeieinheiten im Gaza-Streifen und in Jericho einen Teil der verhaßten israelischen Militärs ablösen.
Der Bummelzug der israelisch- palästinensischen Nahostverhandlungen wird in diesen Tagen durch einen Expreß ersetzt. Was noch vor wenigen Wochen unmöglich schien, soll jetzt über Nacht zur Routine werden. Noch in dieser Woche sollen palästinensische Polizeieinheiten im Gaza-Streifen und in der Stadt Jericho einen Teil der ungeliebten israelischen Militärs ersetzen. Israelische Soldaten räumen dort derzeit Gebäude und Einrichtungen, erste Mitglieder eines Vorauskommandos der palästinensischen Polizei sollen möglicherweise bereits heute im Gaza- Streifen eintreffen.
Nachdem Israel und die PLO letzte Woche in Kairo ihre Gespräche über eine palästinensische Teilautonomie in diesen beiden Gebieten wiederaufgenommen haben, zeigen sich beide Seiten jetzt zu einem abgekürzten Verfahren bereit. Damit soll möglichst schnell eine Verwirklichung der ersten Zwischenlösungsphase erreicht werden, wie sie im Rahmen des Osloer Grundsatzabkommens vom August 1993 eigentlich schon für Mitte Dezember vorgesehen war. In Washington, Jerusalem und Tunis hat man offenbar erkannt, daß nach fünf frustrierenden Verhandlungsmonaten und der Unterbrechung der Gespräche nach dem Massaker von Hebron jede weitere Verzögerung den gesamten Friedensprozeß zum Scheitern bringen könnte und daß neue Gewaltausbrüche in den besetzten Gebieten damit mehr als wahrscheinlich wären. Auf beiden Seiten haben Enttäuschung und Ärger zugenommen. Aber nach dem Massaker von Hebron hatte vor allem die PLO mit erheblichen Schwierigkeiten in den eigenen Reihen zu kämpfen. Die Popularität von PLO-Führer Jassir Arafat war auf einem Tiefpunkt angelangt, und seine Verhandlungsstrategie hatte mangels praktischer Veränderungen in den besetzten Gebieten nur mehr wenige Befürworter unter den Palästinensern. Israels Ministerpräsident Jitzhak Rabin hat daher auf seine bisherige Bedingung verzichtet, derzufolge eine Übergabe von Sicherheitsfunktionen an eine palästinensische Polizei erst nach der Unterzeichnung eines umfassenden Abkommens zur palästinensischen Teilautonomie im Gaza-Streifen und in Jericho erfolgen sollte. So einigte man sich am Wochenende in Kairo darauf, sofort mit der Stationierung palästinensischer Polizeieinheiten zu beginnen, obwohl die Verhandlungen über die Größe und Befugnisse dieser Polizei immer noch nicht abgeschlossen sind. Voraussichtlich wird es sich insgesamt um einen Verband von 10.000 Mann handeln, der jedoch zum Großteil erst einmal rekrutiert und ausgebildet werden muß. Im Laufe dieser Woche sollen in beiden Teilautonomiegebieten 300 Palästinenser stationiert werden. Außerdem soll in diesen Tagen erstmals ein gemeinsames israelisch-palästinensisches Komitee für Sicherheitsfragen zusammentreten, um die tagtägliche Zusammenarbeit zwischen der israelischen Armee und der palästinensischen Polizei zu koordinieren und zu überwachen. Als weitere Maßnahmen wurden die Rückkehr einer Gruppe deportierter Palästinenser und die Freilassung eines Teils der palästinensischen Gefangenen vereinbart. Nach einer Mitteilung aus dem Büro des PLO-Politikers Feisal Husseini sollen zudem 1.500 Mitglieder der Palästinensischen Befreiungsarmee PLA ab Donnerstag in die besetzten Gebiete einreisen, die in Zukunft Sonderaufgaben wahrnehmen sollen, für die die Polizei nicht zuständig ist.
Israels Umweltminister Jossi Sarid, der zusammen mit Außenminister Peres im gemeinsamen obersten Kontrollausschuß für die israelisch-palästinensischen Verhandlungen sitzt, meint, daß es möglich sein sollte, das Gaza-Jericho-Autonomie-Abkommen in zwei Wochen abzuschließen und den israelischen Truppenabzug bis zum Monatsende duchzuführen. Angeblich kann die Amtsübergabe an die bis dahin aus dem Ausland angerückten Offiziere der palästinensischen Polizei innerhalb weniger Tage vonstatten gehen, ebenso wie die erforderlichen israelischen Truppenverschiebungen. Denn um einen echten Abzug der israelischen Truppen geht es derzeit nicht. Zwar werden die israelischen Militärs aus der Stadt Jericho abgezogen, doch im Gaza- Streifen wird ein Teil der Truppen lediglich verlegt; sie werden in drei israelischen Siedlungen konzentriert, die übrigen Verbände ziehen an die Grenze zwischen dem Gaza-Streifen und Israel und an die ägyptische Grenze.
Halbamtlich wird mitgeteilt, daß alle Armee-Einheiten in Gaza-Jericho Weisung haben, ihren soeben begonnenen Um- oder Abzug fünf Tage nach der für Mitte des Monats geplanten Unterzeichnung des Teilautonomie-Abkommens zu vollenden. In Jericho sind der Truppenabzug und die formelle Übergabe an die PLO angeblich eine Sache von 24 Stunden – sobald der Befehl dazu erteilt wurde.
Etwas paradox klingt dabei eine Meldung aus Kairo, nach der es bisher nicht einmal eine Einigung über Zuschnitt und Größe des Teilautonomiegebiets von Jericho gibt, das den Palästinensern jetzt übergeben werden soll. Es soll pünktlich geräumt werden, aber welches Gebiet außer dem unmittelbaren Stadtgebiet davon betroffen ist, scheint bislang unklar.
Auch die Frage, wie viele und welche Gruppen palästinensischer Gefangener im gegenwärtigen Stadium freigelassen werden, ist noch nicht gelöst. Einstweilen kommen aber die ersten der 46 prominenten Fatah-Deportierten in den besetzten Gebieten an. Unter den Rückkehrern sind keine Mitglieder der Oppositionsgruppen in der PLO.
Palästinensische Kreise in Jerusalem erklären, daß es die Aufgabe der Rückkehrer ist, praktische Vorbereitungen für die politische Machtübernahme der PLO in den Teilautonomiegebieten zu treffen. In der Stadt Hebron kehrte inzwischen der von den israelischen Behörden im Jahre 1983 abgesetzte Bürgermeister Mustafa Natsche auf besonderen Wunsch Arafats und mit israelischer Zustimmung wieder in sein Amt zurück.
US-Außenminister Warren Christopher wünscht, bei der Unterzeichnung des Gaza-Jericho- Abkommens dabeizusein, die voraussichtlich in Kairo stattfinden wird – auf Drängen Washingtons noch vor dem 13. April. Es ist das Datum, an dem die Übergabe des Gaza-Streifens und der Stadt Jericho an die palästinensische Verwaltung nach dem Osloer Abkommen ursprünglich hätte beendet werden sollen. Gleich anschließend will Christopher seine nächste Vermittlermission zwischen Israel und Syrien antreten. Mit dieser Initiative soll die nächste Runde der bilateralen israelisch- syrischen Verhandlungen in der dritten Aprilwoche in Washington eingeleitet werden. Amos Wollin, Tel Aviv
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