Verfestung

■ Lorcas „Bernarda Albas Haus“ - ein Gastspiel des Theaters an der Ruhr

Die Festung wirkt nach außen und innen. Zum Beispiel Theresienstadt, jahrhundertelang als Festung Österreichs gegen potentielle Angriffe Preußens ausgebaut, diente es doch nie als Bollwerk nach außen. Stattdessen nutzten die Nazis die befestigte Stadt als Gefängnis, als Konzentrationslager und Zwischenstation für zehntausende Juden auf dem Weg nach Auschwitz.

Eine Festung ist auch Bernarda Albas Haus. Die tyrannische Mutter Bernarda hält, nachdem sie ihren Mann begraben hat, ihre fünf Töchter in ihrem Haus gefangen. Die Repressionen enden im Verzweiflungstod der jüngsten Tochter Adela. Dieses letzte Stück des 1938 von Franco-Faschisten ermordeten spanischen Lyrikers und Dramatikers Federico Garcia Lorca inszenierten der italienische Regisseur Roberto Ciulli und die türkische Regisseurin Müge Gürman in einer Koproduktion des Mühlheimer Theaters an der Ruhr mit dem türkischen Staatstheater. Diese Internationalität ist Programm des Theaters an der Ruhr und seines Leiters Roberto Ciulli, der seit Jahren aufregende transnationale, multikulturelle Wagnisse auf die Bühne bringt. Mit Bernarda Albas Haus gastierte das Theater am Montag im Schauspielhaus. Die Aufführung in türkischer Sprache vermittelte, ohne des Türkischen mächtig sein zu müssen, beeindruckende Bilder von einer Festung aus Tyrannei, Menschen- und Lebensfeindlichkeit.

Die Frauen auf der Bühne sind Männer, Legionäre einer europäischen Besatzungsmacht in einem Camp irgendwo in Nordafrika. Vor dem Halbrund aus zerrissenen Zeltwänden, isoliert und eingekesselt von arabischen Belagerern, die unsichtbar, aber durch orientalische Musik, die zu den Legionären durchdringt, hörbar sind, beginnen sich die Männer als Frauen zu fühlen. Nach dem Tod des Kommandanten stoßen sie militärisch-zackig zum letzten Salut mit etwas kostbarem Wasser an. Um das Überleben zu sichern, begegnet der Capitaine dem Expeditionskoller mit militärischer Disziplin, er nimmt die Kappe ab, langes graues Haar fällt über seine Schultern, Bernarda Alba hat das Regiment übernommen. Es wird nicht im Gleichschritt exerziert, die Männer in den zerfetzten Khaki-Uniformen wedeln im Gleichtakt heftig und hörbar mit großen Fächern. Mal sitzen sie wie Kinder zu Füßen der Mutter, mal fesseln sie sich auf deren Befehl, mal halluzinieren sie von Wasser im Überfluß und kippen leere Kannister über sich aus - ein Bild, das nach dem diesjährigen Newroz-Fest einen beunruhigenden Beigeschmack bekommt. Der Teufelskreis des Dramas schließt sich mit der Beerdigung Adelas, die Hermetik des Lagers und die Zwangsläufigkeit der Ereignisse geben viel Raum für Assoziationen zu tatsächlichen Schwierigkeiten der Türkei und Deutschlands, zwei Länder auf dem Weg zur Festung.

„Wir haben versucht, einen Stoff zu finden, mit dem es möglich ist, eine Problematik zu thematisieren, die beiden Ländern gemein ist“, sagte Helmut Schäfer, Dramaturg des Theaters an der Ruhr, in der anschließenden Diskussion.

Lorca mag seine Ermordung geahnt haben, als er Bernarda Alba als Menetekel der sich behauptenden Franco-Diktatur entwarf, die Inszenierung Ciullis und Gürmans läßt nicht das vielbeschworene „europäische Haus“ erahnen, sondern eine marode, diktatorische „Festung Europa“. Julia Kossmann