Ohne ärztliche Hilfe -betr.: "Obdachloser verendet", taz vom 19.3.94

Betr.: „Obdachloser verendet“, taz 19.3.

Der junge Mann, von dessen Ende auf der Straße die taz berichtete, war mehrfach Gast in der „Tasse“. Er konnte schon seit längerem kaum etwas essen und kam nur zum Kaffeetrinken und Reden.

Viele Gäste der "Tasse“ sind krank, manche schwer. Wenn wir ihnen dringend anraten, einen Arzt aufzusuchen, halten sie uns leider immer wieder negative Erfahrungen entgegen, die sie in Arztpraxen und Ambulanzen gemacht haben. Es wäre dringend erforderlich, Ärzte zu finden, die bereit sind, sich regelmäßig um wohnungslose Menschen zu kümmern. Eine gewisse Erfahrung macht es sehr viel leichter, in einem Patienten auch dann einen Menschen mit besonderen Eigenheiten und berechtigten Bedürfnissen zu erkennen, wenn er äußerlich verwahrlost ist. Wir wir aus vielen Gesprächen in der „Tasse“ gelernt haben, ist es im Einzelfall trotzdem oft sehr schwer, zu entscheiden, ob man jemand das Recht lassen soll, lieber offene Beine zu behalten, als noch einmal zu einem Arzt zu gehen, oder ob man verpflichtet ist, alle zu Gebote stehenden Mittel einzusetzen, um zu versuchen, jemand einen Rest von Gesundheit zu erhalten. Kein Wort von derartigen schwierigen Entscheidungssituationen beim Leiter des Jakobushauses. Wie zu lesen ist, interessiert ihn an den Krankheiten von Wohnungslosen nur, ob sie ansteckend sind.

Wir finden, es ist inzwischen wirklich an der Zeit, daß sich die Mitglieder der evangelischen Gemeinden in Bremen mit der Haltung auseinandersetzen, mit welcher die Leitung einer kirchlichen Einrichtung den Armen und Elenden gegenübertrit. Daß Wohlfahrtsverbände zu Wirtschaftsunternehmen geworden sind, ist zwar Fakt, entschuldigt aber nicht alles.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der „Tasse“