„Bluechips“ Von Pablo Diaz

„Ach, und das sind wohl türkische Chips“, sagte sie mit samtweicher Stimme, voller Zuneigung. Sie, das war die nette Kollegin vom Nebenbüro, und mit „türkische Chips“ meinte sie knusprige Maisfladen, die in einem Teller auf dem Tisch lagen. Zugegeben, die blaue Farbe der Maisfladen könnte für die goldgelbverwöhnten Augen eines jeden Chipsliebhabers etwas befremdlich wirken. Aber wieso gerade türkisch? Lag es an meinem Schnurrbart, lag es am grünlichen Teint meiner Haut oder an dem kastanienbrauen Haar?

Meine Antwort kam prompt: „Nein. Das sind keine türkischen Chips, sondern ökologische Maisfladen aus dem Reformhaus in meiner Straße. Übrigens für 4,50 DM die Packung. Es kann natürlich sein“, erwiderte ich verständnisvoll, „daß auch die Türken solche Chips machen.“ Meine Stimme klang leicht verbittert. Wieso kam sie gerade auf türkische Chips? Ich war noch völlig in Gedanken mit einer rationalen Antwort auf diese doch merkwürdige Fragestellung beschäftigt, als die nette Kollegin erneut für Verwirrung sorgte. „Ich wußte nicht, ob die Türken auch Chips essen“, bemerkte ich mit leicht erhobener Stimme. „Das kann leicht möglich sein. Auch dort soll es ja Kartoffeln geben. Aber das kann ich letztendlich nicht genau beantworten. Ich war noch nie in der Türkei.“

„Ach“, sagte die nette Kollegin. „Sie sind wohl hier in Deutschland geboren oder als kleines Kind mit Ihren Eltern hergekommen?“ Sie lächelte und schaute erwartungsvoll zu mir hinunter. Ich war nämlich etwas kleiner als sie. Ich erinnerte mich an meine Tante, als ich ein kleiner Junge war. Damals in Spanien. Die nette Kollegin hatte nichts mit meiner Tante gemein. Meine Tante war für mich damals sehr groß und hatte tiefe dunkle Augen, pechschwarzes Haar und eine spitze Nase. Und die nette Kollegin war brünett, hatte falsche Zähne und trug zudem eine randlose Brille. Dadurch glich sie mehr einer Oberstudienrätin denn einer Sekretärin. „Weder hier geboren noch mit den Eltern hergekommen“, sagte ich mit leicht geschlossenem Mund. Sie lächelte immer noch. Wie soll man einen so netten Menschen vor den Kopf stoßen? Ich besann mich auf die pädagogischen Leitlinien meines Großvaters, der mir immer sehr geduldig alles erklärt hatte, und wollte auch schon den Mund aufmachen, da folgerte die nette Kollegin schnurstracks: „Ach so, dann sind Sie als Student hierhergekommen und wohl hier geblieben. Kann ich verstehen, bei den Verhältnissen in der Türkei wäre ich jetzt auch in Deutschland.“ Sie grinste. Endlich schien sie die passende Antwort auf mein geheimnisumwittertes Leben zu haben. „Hören Sie.“ Ich war sichtlich bemüht, nicht die Fassung zu verlieren. „Hören Sie. Ich weiß nicht, was ich als türkischer Student gemacht hätte. Ich bin kein Türke.“ Sie runzelte die Stirn. Ihr Gesicht spiegelte meine für sie doch etwas unverständliche Antwort wider. Ich aber machte innerlich einen leichten Seufzer. Sie hatte mich endlich verstanden. Ich nickte mehrere Male. „Doch, doch liebe Frau Kollegin. Ich betone: Ich bin kein Türke, ich bin Spanier!“ Zweimal sagte ich es. Beim zweiten Mal mit sehr ruhiger Stimme. Ich wollte auf Nummer Sicher gehen.

„Das kann ich gar nicht verstehen“, sagte sie mit Vehemenz. „Wieso stehen dann bei Ihnen türkische Chips auf dem Tisch?“