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Zur Vertiefung des Parkettsesselgenusses

Bildende Künstler als Theaterreformer – Peter Simhandls prächtig illustriertes Buch „Bildertheater“  ■ Von Petra Kohse

„Das ist Kunst“, rief der Kunstredakteur erfreut und griff nach dem wertvoll aussehenden Buch auf dem Tisch der Theaterredakteurin. „Das ist Theater“, sagte diese und legte es zurück. Es ist beides. Es ist ein Buch über Bildertheater. Zehn Jahre lang hat sich der Berliner Buchhändler Gadegast geärgert, daß es darüber „keine oder nur wenig“ Literatur gibt. Über diesen Ärger wurde er selbst zum Verleger: Nun gibt es den Verlag der Buchhandlung Gadegast für Theater und Tanz.

Das erste Buch ist opulent und leserfreundlich aufgemacht, mit zahlreichen Farb- und Schwarzweißabbildungen, einer Randspalte mit Zitaten oder Literaturhinweisen, mit Sekundär- und Primärtexten – und handelt von Bildenden Künstlern in ihrer Funktion als Theaterreformer. Peter Simhandl gibt einen Jahrhundertabriß, von Adolphe Appia bis Robert Wilson. Ganz so groß ist der Notstand nicht, wie es uns der Verleger glauben machen will. Zumindest was den historischen Teil betrifft. Erst 1986 beispielsweise ist die überarbeitete Fassung von Manfred Braunecks Standardwerk „Theater im 20. Jahrhundert“ erschienen, das ebenfalls Texte über Appia, Behrens, Craig, Fuchs, Gropius und andere enthält. Ein etwas ausführlicherer Beitrag über Edward Craig findet sich auch in Braunecks „Klassiker der Schauspielregie“ von 1988. Von all den theaterwissenschaftlichen Einzelpublikationen ganz zu schweigen.

Aber mit Simhandls Buch liegt erstmals ein zusammenfassender, populär orientierter Überblick vor, der flott das jeweils Wesentliche skizziert und in Beziehung zur Zeitströmung setzt, und der vor allem – unter der obligaten Aussparung der Nazi-Jahre – bis in die Gegenwart vordringt, mit Kapiteln über Jan Fabre, Achim Freyer und eben Wilson. Leser, die in der Geschichte der Bildenden Kunst unseres Jahrhunderts firm sind, werden so über entsprechende Theateraktivitäten informiert; wer sich vorwiegend Parkettsesselgenüssen hingibt, kann einiges an kunstgeschichtlichem Hintergrund erfahren. Vor allem letzteren wird der Blick für wieder aufgenommene Elemente geschärft.

Mit der Darstellung von Einzelheiten soll hier jetzt nicht die Lektüre ersetzt werden, also nur ein Beispiel: Wie die Programmatik des italienischen Futurismus zitatengespickt charakterisiert wird, erinnert unmittelbar an Theater- Events nach Art von Christoph Schlingensief: „Das Bühnengeschehen soll ,mit Heftigkeit‘ die Nerven der Zuschauer attackieren, soll sie durch ein ,Labyrinth der Sinneswahrnehmungen schleudern‘ und sie auf diese Weise konditionieren für die Reizüberflutung in der modernen Welt.“

Natürlich geht es bei entsprechenden Aufführungen heute nicht mehr um Konditionierung, sondern darum, an veränderte Wahrnehmungsgewohnheiten anzuknüpfen – der revolutionäre Impetus hinsichtlich der Ästhetik hat sich in Gefallsucht verwandelt. Dafür steht man im besten Fall den zu vermittelnden Inhalten kritischer gegenüber als die Futuristen von dunnemals. Das ist nur eine Entwicklungslinie, es gibt andere, die zwar weniger deutlich, aber heute virulenter sind.

Insgesamt ist den Bildertheatermachern gemein, daß sie, im Gegensatz zu den Regisseuren des psychologischen Realismus, das Publikum als Autoren in die Pflicht nehmen. Bilder und Performances sind ein Angebot, eine Aufforderung, nötigen kreatives Potential ab, Inszenierungen dramatischer Texte sind eine Verpflichtung zur Aufnahme. Das eine ist nicht gegen das andere auszuspielen, es sind völlig verschiedene Ansätze, die sich auch vermischen können. In Robert Wilsons Inszenierung von Virginia Woolfs „Orlando“ an der Schaubühne beispielsweise – eine klar auf die Schauspielerin und den Text konzentrierte Aufführung, durch die hin und wieder Objekte geisterten.

Simhandls Buch wird das Theaterverständnis nicht revolutionieren. Man braucht es nicht dringend. Und kann es doch immer wieder brauchen. Zum Nachschlagen im Einzelfall, zum allgemeinen Drin-Herumlesen, als Anregung zur vertiefenden Lektüre, als kurzweilige Vorbereitung für einen Theaterabend. Es sei empfohlen.

Peter Simhandl: „Bildertheater. Bildende Künstler des 20. Jahrhunderts als Theaterreformer“. Verlag der Buchhandlung Gadegast, 160 Seiten, 78 DM.

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