: Ungeliebter Fluchtort
■ Die bosnischen Flüchtlinge in Pakistan haben Asien satt und wollen wieder weg
Delhi (taz) – Über zweihundert bosnische Flüchtlinge in Pakistan möchten ausreisen, weniger als ein Jahr nachdem ihnen Pakistan Asyl gewährt hat. Die humanitäre Geste hatte letztes Jahr internationales Aufsehen erregt: Ein armes asiatisches Entwicklungsland nimmt europäische Flüchtlinge auf. Die Aktion war von der bosnischen Botschafterin Sajdza Silajdžić, der Schwester des bosnischen Außenministers, eingefädelt worden, und die pakistanische Regierung hatte bereitwillig zugestimmt, 385 Flüchtlinge aus einer Gefahrenzone in einer kroatisch dominierten Region aufzunehmen. Für sie war es mehr als eine humanitäre Geste. Es war auch ein politischer Wink – an die muslimischen Nationen, etwas für ihre Glaubensbrüder zu tun, und an die Europäer, welche Miteuropäer leiden ließen, nur weil sie anderen Glaubens sind. Nun ist ausgerechnet der Glaube das Hauptmotiv für den Wunsch der Flüchtlinge, das Land zu verlassen.
Politische Gesten haben ihren Preis nicht nur für das gastgebende Land, sondern auch für die Gäste. Die Bosnier, ohnehin traumatisiert von einem über sie einbrechenden Krieg, waren plötzlich auch noch Flüchtlinge, und dies in einem fernen asiatischen Land, das ihnen höchstens dem Namen nach bekannt war. Nach ihrer Ankunft in Islamabad wurden sie zunächst in einem Mekka-Pilgerzentrum in der Nähe des Flughafens untergebracht. Die sommerliche Hitze von annähernd fünfzig Grad war der erste Schock, der sie erwartete; bald würden sie, tröstete sie jedoch die Botschafterin, in ein Dorf ziehen, das bosnische und pakistanische Handwerker nördlich der Hauptstadt, in der Hügelzone des Karakorum, zu bauen begannen.
Doch es war nicht nur die Hitze, die ihnen zu schaffen machte. Viel schlimmer war die Fremdheit der neuen Kultur: Das Essen war ungewohnt, die Sprache unverständlich, und am ungewohntesten war ausgerechnet das, was beide Volksgruppen verband: der Islam. Für die vielen jungen Bosnier bedeutete er das Foto der Kaaba im Wohnzimmer, den gelegentlichen Besuch der Moschee – er hinderte die Mädchen aber nicht, kurze Röcke und ärmellose Blusen zu tragen, mit ihren Freunden Rockmusik zu hören und Tanzlokale zu besuchen. Hier jedoch sah man nur Männer auf den Straßen, und wenn Frauen auftauchten, waren sie meist von Kopf bis Fuß in schwarze Tücher gehüllt. Bald kamen den Behörden Klagen der Einheimischen zu Gehör, wonach in Rawalpindi Mädchen in Begleitung von Jungen „halbnackt“ flanierten, und auch den Flüchtlingen wurden die starrenden Blicke der Männer im Basar immer ungemütlicher. Sie begannen, sich gegenüber Journalisten und westlichen Diplomaten, die sie gelegentlich zu sich einluden, zu beklagen. Darauf verfügte die bosnische Botschafterin ein Besuchs- und Ausgehverbot. „Ich kann es nicht verantworten“, sagte Frau Silajdžić Ende letzten Jahres, als Journalisten die Bosnier besuchen wollten, „daß Landsleute sich hier öffentlich beklagen – schließlich sind sie Gäste Pakistans.“ Und sie hoffte, daß das im Bau befindliche Bosnier-Dorf im kühlen Hügelgebiet von Abbotabad bald alle Probleme aus der Welt schaffen würde.
Doch die Arbeiten zogen sich hin, in der armen Gegend beginnt sich gegenüber dem vergleichsweise protzigen Zentrum mit geplanter Moschee und Einkaufszentrum Widerstand zu regen. Und als die Flüchtlinge realisierten, daß sie dort noch viel mehr isoliert sein würden als in Islamabad, begannen einige, sich hinter dem Rücken der Botschafterin zu organisieren. Das UNHCR erhielt inzwischen eine Petition von 212 Flüchtlingen, in der diese bitten, man möge sie nach Hause zurückzubringen oder nach Kanada oder die USA auswandern zu lassen. Einer der Unterzeichner versicherte einem Journalisten, nichts gegen seine Gastgeber zu haben. „Aber wir sind nicht einfach Muslime; wir sind europäische Muslime. Wir haben unsere eigene Kultur und Tradition.“ Bernhard Imhasly
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