Bayerns Staatsregierung ganz auf Bierzeltlinie

Die massive Kritik an der geplanten Ausweisung dreier bei den Autobahn- aktionen festgenommener Kurden läßt Bayerns Innenminister Beckstein zwar kalt. Doch haben inzwischen begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Abschiebung straffällig gewordener Kurden die Staatsregierung verunsichert.

Der Augsburger Ordnungsreferent Willi Reisser sieht in den drei Kurden, denen die Ausländerbehörde der Stadt die Ausweisungsverfügung zugestellt hat, das Böse schlechthin: „Das sind drei gewalttätige Störer, die mit brutaler körperlicher Gewalt gegen Polizeibeamte vorgegangen sind.“ Gegen solche Leute helfe nur eins: die unverzügliche Ausweisung. Der schweren Körperverletzung und des Landfriedensbruchs hätten sich die drei Kurden bei den Ausschreitungen auf der Autobahn und in der Augsburger Innenstadt schuldig gemacht. Daher lasse das Ausländerrecht auch einen so drastischen Schritt zu. Den Landfriedensbruch sieht der Ordnungsreferent „durch das Einschlagen auf Polizeibeamte manifestiert“, wie er sich ausdrückt.

Damit liegt der städtische Beamte voll auf der Linie des bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU). Abschieben – koste es was es wolle, ist offenbar die Losung, die ausgegeben wurde im Freistaat. Ganz auf Bierzeltlinie liegt damit die bayerische Staatsregierung und mit ihr die Augsburger Ausländerbehörde. Man solle doch alle Kurden in ein Flugzeug setzen und sie über Kurdistan einfach abwerfen, mußte sich dieser Tage ein Augsburger Staatsanwalt beim Besuch eines Festzeltes sagen lassen. Und ganz so liest sich auch, was in Bayern jetzt beschlossen wurde. Vier Stunden Polizeivideos von den „gewalttätigen Krawallen in und um Augsburg am 19.3.“ hat laut Innenminister Beckstein die Polizei ausgewertet. Und was man da an Gewalt gesehen habe, reicht ihm für die harte Linie – die anschaulich demonstriert, wie im Freistaat mit von Folter und Todesstrafe bedrohten Ausländern umgesprungen wird.

Keine Frage – die um eine Stellungnahme gebetenen Flüchtlingsvertreter, sei es Pro Asyl oder Diakonisches Werk, Caritas oder Pax Christi, kritisieren die gewalttätigen Ausschreitungen, halten die strafrechtliche Verfolgung für durchaus geboten. Aber sie warnen – aus gutem Grund – unisono vor einer Ad-hoc-Abschiebung. „Es ist bekannt, daß die Türkei zwar die Anti-Folter-Konvention unterschrieben hat, sich aber überhaupt nicht dran hält“, empört sich Monika Kaiser vom Arbeitskreis Asyl in Augsburg. Ähnlich wie Ernst-Otto Niklas vom Diakonischen Werk hält sie daher die Ausweisung für absolut unvertretbar. „Das finde ich klar rechtswidrig“, sagt die Ärztin. Ähnlich hatte sich auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger geäußert und sich prompt vom bayerischen Innenminister „oberflächliches Gerede und Ostertheater“ vorwerfen lassen müssen. Brüsk weist Beckstein die Zweifel an der Rechtmäßigkeit zurück, ebenso die Vorwürfe des innenpolitischen Sprechers der FDP-Fraktion, Burkhard Hirsch, der der bayerischen Landesregierung vorhält, Wahlkampf auf dem Rücken der Kurden zu betreiben. Die Landesvorsitzende der bayerischen Grünen, Barbara Hoffmann, hat die Staatsregierung ebenfalls scharf attackiert und sie aufgefordert, endlich zur Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren. Kurdinnen und Kurden, die sich außerhalb ihres Landes politisch betätigt haben, drohten in der Türkei Folter und Tod. Das wisse auch die bayerische Staatsregierung. „Wer Menschenleben gefährdet, um im rechten Wählerspektrum auf Stimmenfang zu gehen, verabschiedet sich aus dem demokratischen Parteienspektrum“, erklärte sie.

Ganz offensichtlich ist inzwischen auch dem bayerischen Innenminister klargeworden, daß die geplante Abschiebung bei weitem nicht so unproblematisch ist wie von ihm unterstellt. Gestern erklärte er: „Wir werden uns nicht allein auf die Erklärungen des türkischen Botschafters verlassen.“ Dieser hatte am Samstag die Entschlossenheit Bayerns begrüßt und gesagt, die Türkei sei ein Rechtsstaat. Nach Meinung des Ministers sollten gewalttätige Kurden insbesondere in die Westtürkei abgeschoben werden, „selbstverständlich darf niemand in die Osttürkei gezwungen werden, wo die Kurden in der Zange zwischen PKK und türkischer Regierung“ seien.

Einige Ungereimtheiten gibt es tatsächlich im überhasteten Abschiebeverfahren. So war bis Redaktionsschluß bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Augsburg noch kein offizieller Antrag auf Aussetzung der Strafverfolgung eingegangen. Obwohl laut Ordnungsreferent Reisser dieser Antrag angeblich längst gestellt wurde. Schließlich wurden schon vergangene Woche die Bescheide in die Justizvollzugsanstalt Augsburg, wo die Betroffenen einsitzen, zugestellt. Doch ganz abgesehen davon ist die Aussetzung der Strafverfolgung, die für eine schnelle Abschiebung erforderlich wäre, alles andere als sicher. Oberstaatsanwalt Jörg Hillinger erklärte, noch würden die Ermittlungen auf Hochtouren laufen. Von den drei Ausweisungsfällen sei ihm noch nichts Näheres mitgeteilt worden. Konfrontiert mit den Schilderungen des bayerischen Innenministers zu den drei Kurden meinte Hillinger: „Das sieht, ohne daß ich das jetzt schon definitiv sagen kann, nicht danach aus, als würden wir hier auf eine Strafverfolgung verzichten können.“ Zu gravierend seien die Vorwürfe. Beckstein erklärte, daß zu den drei Ausgewiesenen ein 32jähriger türkischer Staatsangehöriger mit Aufenthaltsberechtigung gehört. Der Familienvater soll „zunächst aus fünf bis zehn Metern Entfernung gezielt mit Steinen auf die vorrückenden Polizeibeamten geworfen“ haben. Außerdem soll er mit einem einen Meter langen Ast auf Beamte eingeschlagen und sich später massiv der Festnahme widersetzt haben. Von einem 21jährigen Asylbewerber berichtete der Innenminister, daß er mit einem Schneeschieber so stark auf einen Polizisten eingeprügelt habe, daß der Pflock zerbrach. Der dritte von der Ausweisung bedrohte Kurde soll andere Demonstrationsteilnehmer daran gehindert haben, sich von den Krawallen zu entfernen. Wenn die Staatsanwaltschaft diese Taten aber strafrechtlich weiterverfolgt, wie vom Oberstaatsanwalt angedeutet, dann müßten die Erklärungen der Augsburger Ausländerbehörde und des bayerischen Innenministers tatsächlich hinterfragt werden. Dann nämlich ist die verkündete Ausweisung schlicht und einfach nicht möglich. Und das ist auch das Dilemma des bayerischen Innenministers: Wirft er den drei Kurden zu harte Vergehen vor, muß erst das Ermittlungsverfahren abgewartet werden. Tut er das nicht, muß er sich fragen lassen, warum dann in ein Land wie die Türkei abgeschoben wird. Zumal die bloße Zusicherung eines türkischen Botschafters, den Betroffenen werde schon nichts geschehen, kaum als ausreichend betrachtet werden kann.

In der oberbayerischen Gemeinde Gilching haben inzwischen Mitglieder und Pfarrer der Gemeinde Sankt Sebastian zur Selbsthilfe gegen die Kurdenausweisung gegriffen. Die demonstrationsunerfahrenen Gilchinger Gläubigen gewährten einer von der Ausweisung bedrohten Kurdenfamilie Kirchenasyl. Das Abschiebeverfahren hat mit den Augsburger Krawallen zwar nichts zu tun, die Diskussion um diese Abschiebungen aber erneut angeheizt. Klaus Wittmann, Augsburg