Restposten im nacholympischen Streichkonzert

Olympia: Was bleibt (Teil 1) / Ein halbes Jahr nach dem Aus in Monte Carlo stehen noch drei Sporthallen auf dem Programm / Im Schatten der Super Domes bleiben die Bezirkssportstätten auf der Strecke  ■ Von Oliver G. Hamm

Ein gutes halbes Jahr nach dem Debakel der am 23. September 1993 in Monte Carlo kläglich gescheiterten Olympiabewerbung hat Berlin ganz andere – vor allem finanzielle – Sorgen. An allen Ecken und Enden muß gespart werden. Auch die prestigeträchtigen „Sofortbaumaßnahmen“ aus der Olympiaplanung: die Mehrzweckhalle im Jahn-Sportpark und die Radsport- und Schwimmhalle an der Landsberger Allee bleiben davon nicht unberührt. Nach einigen finanztechnischen Jongleursakten hat der Hauptausschuß des Abgeordnetenhauses rund 800 Millionen Mark als oberste Grenze für die Bauvorhaben angesetzt. Im Rahmen der Olympiabewerbung war noch von 750 Millionen Mark die Rede gewesen.

Noch ist von Hallen und Arenen nichts zu sehen. Die riesigen Baugruben im Jahn-Sportpark, am Standort der ehemaligen Werner- Seelenbinder-Halle und auf dem Gelände des ehemaligen Stadions der Weltjugend, wo die große Olympiahalle gebaut werden sollte, zeugen wenig von den herbeigeredeten „blühenden Landschaften“. Der „Motor der Stadtentwicklung“, zu dem die Projekte stilisiert wurden, ist ins Stottern geraten. Die „Lokomotive“ des „Olympia 2000“-Konzepts landete gleich auf dem Abstellgleis: Für den schienengebundenen „Olympia-Expreß“ als hochgezüchete Nahverkehrsverbindung war nach dem Aus von Monte Carlo kein Geld mehr da. Zugleich fiel das geplante olympische Dorf in Ruhleben mit seinen integrierten Trainingsstätten dem Rotstift des Senats zum Opfer. Die Pläne, das benachbarte Olympiastadion zu modernisieren und neu zu überdachen, sind in ebenso weite Ferne gerückt wie die Aufstiegschancen von Hertha BSC in die erste Bundesliga.

Ungewisser denn je ist der Bau einer Großsporthalle auf dem Areal des ehemaligen Stadions der Weltjugend an der Chausseestraße: Der einzige potentielle Investor für die 20.000 Zuschauer fassende Arena nebst kommerziell zu nutzender „Mantelbebauung“ ist längst abgesprungen. Dennoch will der Senat, trotz leerer Kassen, an dem monumentalen Prestigeprojekt festhalten. Weil eine Sanierung der Deutschlandhalle auf dem Messegelände angeblich nicht in Frage kommt, soll schnellstmöglich eine Großsporthalle her, damit die Veranstalter großer internationaler Sportwettkämpfe in Zukunft nicht mehr einen großen Bogen um Berlin machen müssen. Die Schwimm-Weltmeisterschaften 1997 hat Berlin gerade erst zurückgeben müssen, weil wegen der jüngsten finanziellen Streichorgie etwa die Zuschauerkapazität der geplanten Schwimmhalle an der Landsberger Allee stark eingeschränkt werden muß.

Zwei „Eckpfeiler“ der Olympiabewerbung haben dagegen Realisierungschancen: Die beiden Standorte Rummelsburger Bucht und Eldenaer Straße, im Olympiakonzept als Schlafstädte für die „olympische Familie“ beziehungsweise Journalisten vorgesehen, sollen zu Wohngebieten ausgebaut werden. Die im Juli 1992 gegründete „Entwicklungsgesellschaft Rummelsburger Bucht“ muß allerdings ihre Planungen bis zum Jahr 2006 strecken (siehe taz vom 19.3.94). Aber nicht nur beim Zeitplan steht eine Revision an: Die langen Wohnzeilen auf der Stralauer Halbinsel nach dem Plan von Herman Hertzberger (Amsterdam) können nicht, wie vorgesehen, bis zur Spree reichen, da ihnen eine Gruppe solitärer Luxuswohnhäuser, die Investoren errichten, den Weg abschneiden. Aufgrund der Eigentumsverhältnisse kann auch der geplante Park am Südende der Halbinsel nur zum Teil realisiert werden. Zudem verhindert die Festschreibung des Markgrafendamms als autobahnähnliche Hochleistungsstraße den ursprünglichen Plan, die Halbinsel besser an die Wohngebiete westlich dieser Barriere anzuschließen. Diese nordsüdliche Trennlinie zerschneidet auch die Pläne Klaus Theo Brenners (Berlin), der im Bereich des Bahnhofs Ostkreuz eine Bebauung mit Dienstleistungsbrücken anvisierte, die sich nun unabhängig voneinander entwickeln müssen.

Das künftige Wohngebiet auf dem Areal des ehemaligen Schlachthofs zieht die im November 1992 gegründete „Stadtentwicklungsgesellschaft Eldenaer Straße“ nach einem Konzept der Darmstädter Planer Klaus und Verena Trojan hoch. Die Planung des neuen Stadtviertels vermittelt geschickt zwischen zwei völlig gegensätzlichen Wohngebieten: dem dicht bebauten Samariterviertel, das als Sanierungsgebiet förmlich festgelegt ist, und der jenseits des S-Bahn-Grabens angrenzenden „Mustersiedlung“ des DDR-Wohnungsbaus aus Plattenkisten unterschiedlicher Generationen. Die Neubauten nehmen diese städtebaulichen Strukturen auf und fügen sich einerseits in das vom Samariterviertel vorgegebene Raster ein und umschließen andererseits hofartige Grünräume.

Beim Bauvorhaben Eldenaer Straße steht vor allem das Verkehrskonzept auf dem Prüfstand: Zwar war von den Planern wegen der guten öffentlichen Verkehrsanbindung ausdrücklich eine „autoarme“ Version mit einem Pkw- Abstellplatz für jeweils acht Haushalte gefordert worden. Aber so recht scheint niemand dem Konzept, das gesamte Wohngebiet nur über Stichstraßen zu erschließen, zu trauen. Es wird noch einiger Kämpfe bedürfen, damit die geplante „grüne Insel“ an der Nahtstelle der Bezirke Prenzlauer Berg, Lichtenberg und Friedrichshain schließlich nicht doch in einer Abgaswolke verschwindet.

Nebenan, jenseits der Landsberger Allee, sind die Schwimm- und Velohalle nach den Plänen von Dominique Perrault (Paris) geplant. Für letztere wurde bereits eine riesige Grube ausgehoben. Am Raumprogramm der Hallen soll trotz Etatkürzungen nichts gestrichen werden. Gespart wird vor allem an der Erschließung: Statt vier wird es nur einen Übergang über die S-Bahn geben, und der Ausbau des S-Bahnhofs Landsberger Allee steht noch in den Sternen. Wo einmal die Schwimmhalle – mit fest installiertem Dach – in einer künstlichen Plattform „versenkt“ werden soll, steht heute noch ein Kühlhaus des früheren Schlachthofs, mit dessen Abriß im Oktober begonnen werden könnte. Den nördlichen Abschluß des Areals überarbeitete Perrault inzwischen vollkommen: Statt der sechs turmartigen Gebäude sind nun zwei lineare Baukörper für Büros und Wohnungen jenseits der S-Bahn vorgesehen, die ein Geschäftszentrum mit eiförmigem Kinozentrum einschließen. Die einstige Vertikalität übernimmt eine 100 Meter hohe Hochhausscheibe an der Landsberger Allee. Für sie wie auch für das Geschäftszentrum haben sich allerdings noch keine Investoren gefunden.

Auch die Mehrzweckhalle im Jahn-Sportpark kann ohne Einschränkung des Raumprogramms errichtet werden, obwohl die Architekten Joppien und Dietz (Frankfurt) den Rotstift ansetzen mußten. Durch Vereinfachung der Haustechnik und der Ausstattung – so wird der Boden nicht aus Natursteinplatten, sondern aus Beton bestehen, und auf Teleskoptribünen wird verzichtet – konnten noch einmal 20 Millionen Mark eingespart werden. Keine Abstriche wurden dagegen an der Behindertengerechtigkeit gemacht – die Halle steht in dieser Beziehung allein auf weiter Flur in Deutschland.

Die zentrale Halle für rund 7.000 Zuschauer wird beidseitig von drei Dreifachsporthallen (zwei im westlichen, eine im östlichen Trakt) und einem medizinischen Bereich mit Fitneßstudio und dem Landesleistungszentrum Boxen eingefaßt. Diese beiden niedrigen „Seitenschiffe“ erhalten das geplante begehbare Dach, das an den Sportpark bis an die zentrale Halle heranführt. Endgültig vom Tisch ist dagegen die zweite, während der Olympiabewerbung als „Judohalle“ bezeichnete Sporthalle südlich des Stadions.

Die „Sofortbaumaßnahmen“ aus dem Olympiakonzept sind gegenwärtig die einzigen im Bau befindlichen Sporthallen in den Bezirken Prenzlauer Berg und Mitte. Dabei haben gerade sie einen enormen Nachholbedarf, wie die Sportstättenstatistik Berlin vom März 1993 ausweist: Bei den Sporthallen stehen sie mit einem Versorgungsgrad von jeweils nur 36 Prozent an 18. und 19. Stelle in der Rangliste der 23 Berliner Bezirke. Bei den Freisportanlagen sieht es noch düsterer aus: Während Prenzlauer Berg zu 35 Prozent versorgt ist und damit Platz 17 einnimmt, rangiert Mitte am Ende und hält die rote Laterne: Dort müssen sich neun Bürger den Platz zum Sporttreiben teilen, der eigentlich jedem allein zusteht. (Zum Vergleich: Weißensee ist mit 132,2 Prozent „überversorgt“, ansonsten reichen nur Zehlendorf und Treptow noch an die 100-Prozent-Marke heran.) Der Fehlbedarf in Mitte entspricht umgerechnet etwa 15 Dreifach-Sporthallen und 30 Großspielfeldern. Für den Bezirk wirkt sich vor allem der Verlust der Sportanlagen am Stadion der Weltjugend – der einzigen ungedeckten Wettkampffläche – verheerend aus. Deshalb verhandelt der Bezirk nun um eine von der Deutschen Reichsbahn nicht mehr benötigte Fläche auf dem Gelände des ehemaligen Nordbahnhofs, um dort ein Großsportfeld mit 400-Meter-Bahn und den notwendigen Versorgungseinrichtungen zu bauen.

Da im Innenstadtbezirk eine nur geringe Zahl an Flächen für Sportbauten zur Verfügung steht, bleiben nur wenige Möglichkeiten, die Defizite zu mindern. Mittelfristig sind nur der Bau einer Doppelturnhalle und eines Großspielfeldes im Zusammenhang mit dem Neubau/Anbau der 13. Grundschule in der Bergstraße, der Neubau eines Gymnasiums mit Turnhalle in der Wallstraße sowie der Neubau eines Gymnasiums einschließlich Turnhalle und Sportplatz im Block Stallschreiber Straße geplant. Diese Vorhaben sind zwar neben einigen Ersatzbauten in der Investitionsplanung 1994–1998 enthalten, doch nach den jüngsten Sparbeschlüssen liegen sie auf Eis. Nicht viel besser sieht es für den Bezirk Prenzlauer Berg aus: Auch hier fehlen mindestens 15 Dreifach-Sporthallen. Nicht nur muß der „Bedarf nach Norm“ in Prenzlauer Berg unerfüllt bleiben, es fehlt zugleich schlichtweg an Bauplätzen: Die dichte Baustruktur mit den in die engen Blöcke integrierten Schulen, deren aus der Gründerzeit stammenden Turnhallen nach heutigen Anforderungen viel zu klein sind, läßt keinen Raum für Erweiterungen. Nur im östlichen Teil des Bezirks und im Jahn-Sportpark stehen noch größere Flächen für Neubauten zur Verfügung. So grotesk es klingt: Der Bezirk muß froh sein, daß wenigstens die Mehrzweckhalle im Jahn-Sportpark gebaut wird. Das Hallen-Defizit reduziert sich auf einen Schlag um zwölf Hallenteile; auch wenn nicht in unmittelbarer Nähe der Schulen.

In der Radsporthalle an der Landsberger Allee können drei weitere Hallenteile untergebracht werden. Geplant, aber finanziell noch nicht abgesichert sind eine vierteilige Halle für zwei Schulen in der Sredzki-/Ecke Knaackstraße, eine zwei- bis dreizügige Halle im Baublock der heutigen Poliklinik – die in eine Schule umgewandelt werden soll – und eine Dreifachsporthalle am Senefelder Platz. Letztere will ein privater Investor bauen, der die Halle von 7 bis 16 Uhr für einen Preis von 8 Mark pro Quadratmeter und Monat für den Schulsport reservieren und von 16 bis 22 Uhr (sicherlich zu einem höheren Preis) an Vereine vermieten möchte. Zwar steht die Verpflichtungsermächtigung des Senats noch aus, doch könnte dieses Projekt angesichts der leeren öffentlichen Kassen Modellcharakter für zukünftige – auch kleinere – Sportbauten haben. Schließlich steht die aufzuwendende jährliche Miete von 160.000 bis 180.000 Mark in einem durchaus akzeptablen Verhältnis zu den Baukosten für eine gewöhnliche Dreifach- Sporthalle (10 bis 16 Millionen Mark, ohne Grundstücks- und Unterhaltskosten).

Im Prenzlauer Berg hat man das Streichkonzert mit einem lachenden und einem weinenden Auge zur Kenntnis genommen. Das vorläufige „Aus“ für die geplanten Schulsporthallen wird durch den Beschluß, die „Sofortbaumaßnahmen“ weiterzuführen, wenigstens zum Teil aufgewogen.

Dagegen bleibt der Bezirk Mitte der große Verlierer der gescheiterten Olympiabewerbung. Durch den Abriß des Stadions der Weltjugend der einzigen Wettkampfstätte beraubt, ist er nun durch die jüngsten Sparbeschlüsse des Senats daran gehindert, in absehbarer Zeit den erheblichen Mangel an Sportstätten zu verringern. Der lange Schatten der Olympiaplanung hat hier nichts als Brachen hinterlassen.

Der Autor ist Redakteur der Fachzeitschrift „Bauwelt“