Grüne West-Männer ausgequotet

■ Kandidatenkür bei Bündnis 90/Die Grünen: Wahrscheinlich kein Westberliner im Bundestag / Chancen für Franziska Eichstädt, Gerd Poppe und Andrea Fischer / Ströbele will deshalb Direktmandat holen

Die Partei Bündnis 90/Die Grünen stellt in zwei Wochen ihre KandidatInnen für die Bundestagswahl auf. Die zehn BewerberInnen, die auf der Mitgliedervollversammlung kandidieren werden, sollen am kommenden Montag der Öffentlichkeit vorgestellt werden – doch die Weichen sind schon weitgehend gestellt. Bei dem erwarteten Wahlergebnis um zehn Prozent werden schließlich nur drei Berliner Alternative in den Bundestag einziehen. Dabei wird es sich aller Voraussicht nach um zwei Frauen und einen Ost-Mann handeln. West-Männer haben so gut wie keine Chance.

Auf Grund der Frauenquote, nach der alle ungeraden Listenplätze weiblich besetzt sein müssen, kann auf Platz eins nur eine Kandidatin gewählt werden. Der ehemaligen Kreuzberger Baustadträtin Franziska Eichstädt- Bohlig und Andrea Fischer vom Geschäftsführenden Ausschuß (beide West) werden dabei die größten Chancen eingeräumt. Da das Bündnis 90 nur ein Zehntel der Mitglieder stellt, war bei der Vereinigung mit den Grünen zu einer gemeinsamen Partei neben der Frauenquote eine Art Schutzquote beschlossen worden, die jeden zweiten Listenplatz einem Ossi vorbehält. Kommt auf Platz eins eine West-Frau, muß auf Platz zwei folglich ein Ost-Mann. Den gibt es auch – mit dem Bürgerrechtler Gerd Poppe, der zur Zeit Mitglied des Bundestages ist. Bei der Wahl Poppes – gegen den vermutlich kein anderer Ost-Mann antreten wird – wäre Platz drei wiederum einer Frau vorbehalten. Unter anderem kandidiert Christina Schenk, Mitglied des Bundestages, die vom UFV aufgestellt wurde.

Im Vorfeld hat die „völlige Durchquotung“ zu Mißstimmungen geführt. So hat der ehemalige Parteivorständler Jochen Esser seine Kandidatur zurückgezogen, weil er als Wessi ohnehin keine Chance habe. Rechtsanwalt Hans- Christian Ströbele, ehemaliger Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der Bezirksfraktion Tiergarten, kandidiert zwar weiterhin, bewirbt sich aber auch im Wahlkreis Kreuzberg/Schöneberg um ein Direktmandat – die Chancen, auf diesem Umweg in den Bundestag einzuziehen, sind denkbar gering (die Grünen müßten in beiden Bezirken mehr Stimmen als jede andere Partei bekommen), doch der Quotierung wäre er so entkommen. Die Bezirksverbände Kreuzberg und Schöneberg entscheiden auf einer gemeinsamen Sitzung in der nächsten Woche, ob sie Ströbele ins Rennen schicken. Davon unabhängig will der Westberliner aber auch auf Platz vier der Landesliste kandidieren, wie er gestern der taz versicherte.

Nicht völlig ausgeschlossen ist, daß die Mitgliedervollversammlung nun das Wahlverfahren ändert. Gerd Poppe etwa sieht den Ausweg, den dritten Listenplatz „für alle“ freizugeben – also auch für AL-Männer. Für den Sprecher der Fraktion im Abgeordnetenhaus, Stefan Noä, ist denkbar, die Doppelquotierung nicht zwanghaft auf einzelnen Listenplätzen durchzuhalten, sondern mit „dem Block“ der ersten vier Plätze zu erfüllen. Die Reihenfolge Westfrau- Ostmann-Westmann-Ostfrau würde möglich. Faktisch bedeutete dies aber eine Schwächung der Frauenquote. Und deshalb wird es für diesen Generalangriff auf das grüne Selbstverständnis keine Mehrheiten geben.

Spekulationen, daß die Grünen Gerd Poppe einfach durchfallen lassen könnten, um einen Wessi durchzudrücken, hielt Landesgeschäftsführer Norbert Schellberg gestern für abwegig. Ein Teil der Grünen soll sich von Poppe im Bundestag nicht vertreten fühlen. Poppe hatte sich in der Vergangenheit für ein Eingreifen in Bosnien stark gemacht. Doch das Bündnis 90 stehe einmütig hinter Poppe, meinte Schellberg. Würde der Kandidat durchfallen, käme es zu „größten Zerwürfnissen“ innerhalb der Partei. Dirk Wildt