■ Zähne sind das Thema des heutigen Weltgesundheitstages
: Bürsten wie die Fürsten

Berlin (taz) – Panzerechsen haben's einfach. Sie liegen den ganzen Tag faul im Schlamm herum und sperren das Maul auf. Warten, bis ihr Freund, der gefiederte Krokodilwächter, angerannt kommt und ihnen die Speisereste aus dem Gebiß pickt. Irgendwann sind die Zähne dann sauber, der Pluvianus aegyptius ist pappsatt, und alle Beteiligten sind's zufrieden – eine sehr zweckmäßige Einrichtung von Mutter Natur ist das.

Der Mensch aber muß selbst Hand anlegen. Bürsten, puhlen, spülen, gurgeln. Und dann geht es ihm eines Tages doch wie Friedrich Kracke bei Wilhelm Busch: „Um seine Ruhe ist's getan, er beißt sich auf den hohlen Zahn.“ Armer Kracke, er hat alles versucht, den Schmerz zu betäuben: Schnaps, Tabak, Zugpflaster, um dann doch beim Zahnreißer mit einem furchteinflößenden Haken zu landen. Und das Ende vom Lied: „Der Doktor, würdig wie er war, nimmt in Empfang das Honorar.“

So kennt man sie, die Zahnärzte. In der Einkommensstatistik ganz vorn, in der Rangfolge unbeliebter Berufe noch hinter Politikern und Journalisten. Ein Image, so unschön wie die Zahnreihen eines Bethelnußkauers. Obwohl man ihnen damit unrecht tut, denn ihr Vorsprung gegenüber dem deutschen Durchschnittsverdiener schwindet so schnell wie bei manch einem von uns das Zahnfleisch: Im vergangenen Jahrzehnt schmolz die Einkommensdifferenz auf 130.000 Mark im Jahr zusammen (Wirtschaftswoche)! Au Backe! Das treibt dem Dentisten die Tränen in die Augen wie dem Patienten eine schmerzhafte Wurzelbehandlung.

Und dann der Job erst. Wer möchte schon tagein, tagaus in fremden Mundhöhlen wühlen, aus denen fauler Atem steigt und die dem Auge nichts bieten als den Anblick kariöser Ruinen? Nein, die Zahnärzte haben mehr Zuneigung verdient, zumal sie alles für uns tun, die Berührungsängste zu mindern: Im Wartezimmer säuselt leise Musik wie beim Start eines Airbus, die pastellfarbenen Tapeten wirken beruhigend auf die Nerven, exakter Terminplan verhindert die Häufung trübseliger und schmerzgeplagter Dickbacken, was beim Patienten zweifellos moralmindernd wäre.

Etwas später liegen wir dann in der Horizontalen und werden freundlich gefragt, wie's denn unseren Kleinen geht und ob das Wetter im Urlaub auch ordentlich war. Wir sagen dann „Uuummpf“ oder „Aaarooagh“ oder „Hähihägen“ (letzteres soll heißen: „sehr viel Regen“), weil zylindrische Wattebäusche im Mundraum das Sprechen deutlich erschweren, doch wir ernten immerhin stets ein freundliches Nicken auf unser Gestammel. Ist das etwa nix?

Das Mißtrauen gegen den Berufsstand bleibt. Warum ziehen sie sich neuerdings dünne Gummihandschuhe über und eine Maske vors Gesicht, grad so wie Wegelagerer vor der Plünderung einer Postkutsche? Wollen sie keine Spuren hinterlassen? Sollen wir sie auf der Straße nicht wiedererkennen, um im Affekt Rache üben zu können?

Längst werden jedoch dem Zahnarzt nicht mehr wie im frühen Babylon nach Pfuscherei die Hände abgehackt, der Umgang miteinander ist ziviler. Kein Bader oder Quacksalber schleppt uns mehr öffentlich aufs Podest, um mit Schabern, Feilen, verrosteten Zangen und Stoßeisen den Kiefer zu malträtieren – die Bohrer schnurren heute mit sechsstelligen Umdrehungszahlen. Auch sollen keine mittelalterlichen Heilmethoden mehr wie Brei aus Wolfs- und Hundekot oder Haschee aus geröstetem Hasenkopf und kleingehackten weiblichen Schamhaaren dem Zahnschmerz den Garaus machen.

Es zeigen die historischen Anekdoten immerhin, daß der Homo sapiens (dentaler Fachterminus: Gemischtkostverzehrer) bereits vor der massenhaften Verbreitung von Gummibärchen und Schokoriegeln zu leiden hatte. Die ältesten Zahnfüllungen wurden bei Prinzessin Anna Ursula von Braunschweig und Lüneburg gefunden (Amalgam und Gold!), die im Jahre 1601 zu Kirchberg/Jagst in Gras biß. Und bereits vom Römer Aulus Cornelius Celsus ist die Erkenntnis überliefert: „Zahnschmerz ist, abgesehen vom Sterben, der größte und grausamste aller Schmerzen.“

Wohl wahr, und deshalb hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihre Jahresoffensive '94 dem Zahn gewidmet – am 7. April ist Weltzahngesundheitstag. Dazu verschickt die Genfer Behörde schöne bunte Plakate und Spiele, auf denen Menschen aller Hautfarben fröhlich mit Zahnbürsten winken. Soll sagen: Leute putzt, wienert, pflegt! Prophylaxe ist das Motto. Dies gilt zwar vor allem den weniger entwickelten Ländern, aber gerade auch in deutschen Mündern sieht's düster aus. „Katastrophal“, klagt die Bundeszahnärztekammer über die orale Hygiene hierzulande – kaum jeder zweite Haushalt kauft sich einmal im Jahr ein neues Bürstchen.

Ob da gutgemeinte Aufklärung hilft? Sowenig sich Nikotinfreunde vom Anblick schwärzlich-faulender Raucherbeine bekehren lassen, so wenig scheint uns die Angst vorm Zahnarzt Putzhilfen in die Hand zu treiben. Jeder dritte hat Karies? Na und. Strahlerküsse schmecken besser? So, so! Mammi, Mammi, er hat überhaupt nicht gebohrt? Glück gehabt, Kind! Damit Sie morgen noch kraftvoll zubeißen können? Essen wir eben Mus statt Apfel am Stück!

Vielleicht ist der gemeine Zahnbesitzer auch nur zu verwirrt durch allzuviel Werbung. Zahnseide gewachst oder ungewachst? Bei den Pasten die klinisch geprüfte oder die medizinisch empfohlene von der Zahnarztgattin – oder gleich eine mit dem farbigen Fluorstreifen? Die Bürstenhaare in V-Stellung oder parallel? Besser noch das elektrische Hygiene-Center mit integrierter und regulierbarer Munddusche, ein- und neunstrahlig, wie's beliebt!?

Alles Mumpitz, schreibt Elmar Wendler in „Zähne – ein Wegweiser zur Mundgesundheit“. Eine weiche Zahnbürste, Creme mit Fluorzusatz (was praktisch alle haben), immer schön locker vom Roten (Fleisch) zum Weißen (Zahn) massieren (und zwar nach dem Essen) – viel mehr (nämlich Zahnseide abends) braucht's nicht, um der Karies zu trotzen.

Alles weitere erledigt sowieso der Zahn der Zeit. Herr Thömmes