Herrlich, einfach herrlich

In den Schlußminuten triumphieren Gladbacher Borussen 2:0 über die Bayern des Herrn Kaiser von der Einbrachen-Münchener  ■ Vom Bökelberg Bernd Müllender

Wenn auf dem Mönchengladbacher Bökelberg die Mannschaften den Platz betreten, donnert über Stadionlautsprecher der blecherne Countdown des legendären Fernseh-Raumschiffs Orion ins Rund. Eine Hommage an die Zeit der späten sechziger Jahre, als sich Borussen und Bayern daran machten, für ein Jahrzehnt den westdeutschen Fußball allein zu beherrschen. Viel geblieben ist nicht vom damaligen Glanz, weder hier und überraschend schon gar nicht dort. So war es keine Reise an den Rand fußballerischer Unendlichkeit, die Erinnerungen blieben wie ein Märchen von vorvorgestern.

88 ätzende Minuten lang war es grottengrauenvoll. Kontrollierte Defensive beidseitig, besonders Champion-Kandidat Bayern spielte ausschließlich auf Sicherheit: Ballgeschiebe über die gesamte Breite des breiten Platzes, der bezeichnenderweise schachbrettartig gemäht war. Und so rochierte das Pferd Ziege in einer Endlosschleife umher, die Totalausfälle Valencia und vor allem Zappelphilipp Scholl hatten Wirkungsradien von blockierten Randbauern, Dauer-Läufer Sternkopfs Alibisprints in der Diagonalen endeten regelmäßig mit Ballverlust. Allein Grundlinienwart Aumann war König der Lüfte und rettete dreimal spektakulär; und der – man muß es zugeben – wieder einmal überragende und in der Defensive fehlerlose Matthäus blieb Turm in der Schlacht. Dafür schlug ihm, deutlich mehr noch als anderswo, von den vollgepackten Rängen ein beeindruckend unflätiger Haß aus tiefsten Fanseelen entgegen.

Ein Abend schwerer Enttäuschungen, wenn nicht nach 63 Minuten Reservestürmer Heiko Herrlich gekommen wäre. Eigentlich kein Siegertyp, sondern von vielen Handicaps gezeichnet: ewiges Talent, in Leverkusen ausgemustert, häufig verletzt, diese Saison wegen einer Gelbsucht volle vier Monate außer Gefecht, zuletzt formschwach und obendrein auch noch ein schwer religiöser Bibelkreisaktivist und Beter.

Doch Dienstag abend klappte alles: Ganze zwei Minuten waren noch zu spielen, da schlug Herrlichs Kollege Jörg Neun einen Freistoß croissant-krummkurvig in den Strafraum, Herrlich erwischte den Ball und köpfelte ihn gegen den Innenpfosten. Alle Bayern betreffenden Lebensweisheiten hätten jetzt garantieren müssen, daß die Kugel längs der Torlinie, hin und her abgefälscht und abgeblockt, einen rettenden Ausweg durch diverse grätschende Beine aus der Gefahrenzone findet. Doch diesmal gehorchte das Glück den Bayern nicht: Die Pille tropfte tatsächlich ins Tor. Gladbach führte, das Volk tobte, und zwei Minuten später setzte Herrlich mit einem wunderbar unverschämten Schlenzer noch einen obendrauf.

Der Herr Kaiser von der Einbrachen-Münchener versicherte hernach, jo mei, weh täte sie schon, die Niederlage, unglücklich sei es gelaufen mit den späten Toren, aber viel zu analysieren gebe es nicht. „Wennst halt nur sechs oder sieben vollwertige Leute auf dem Platz hast, kannst net gewinnen.“ Sieben? War schon übertrieben. Und auch dies: „Mit Tormöglichkeiten waren wir zu sparsam“, was „relativ ärmlich“ gewesen sei. Absolut ärmlich! Genaue Chancenanzahl der Bayern nämlich: samt und sonders null. Indes outete Franz B. die Herkunft seines Branchennamens: In Wien waren seine Bayern einmal, in den Sechzigern, im Vorfeld eines Spiels von einer Versicherungsgesellschaft (!!!) eingeladen worden, und er, der junge Franz, war neben eine Büste von Kaiser Franz Joseph gestellt und daselbst fotografiert worden. „So bin ich“, sprach der Herr Kaiser, „zu diesem Namen gekommen. Mich stört er aber nicht...“

In wohltuender Einfachheit stammelte Heiko Herrlich zwischen seinen Jubeleruptionen hervor: „Traumhaft, einfach herrlich, es war einfach herrlich.“ Lothar Matthäus, der Aufbrausende, gastritisgefährdet, schimpfte fuchtig: „Einige bei uns wollten wohl nicht.“ Und so fürchtet er, der FC Bayern könne trotz anhaltendem Punktvorsprung „am Ende wieder mit leeren Händen dastehen“. Wie in den letzten drei Jahren auch. Was manche gar herrlich fänden, außer dem Herrn Kaiser natürlich, der als Meisterschaftsgarantieagent abschließend in den Ligawald pfiff: „Wir geben den Kampf um die Meisterschaft nicht auf. Noch sind wir dabei.“

Borussia Mönchengladbach: Kamps - Schneider - Andersson, Stadler - Kastenmaier, Nielsen, Pflipsen (75. Fach), Wynhoff, Neun - Dahlin, Max (64. Herrlich)

FC Bayern München: Aumann - Matthäus - Schupp, Helmer - Frey, Jorginho, Scholl, Sternkopf, Thon (65. Hamann), Ziege - Valencia

Zuschauer: 34.000; Tore: 1:0 Herrlich (88.), 2:0 Herrlich (90.)