Ich war ein hoffnungsloser Fall

Anthony Hopkins in Richard Attenboroughs „Shadowlands“ – ein Porträt  ■ Von Christiane Peitz

Oxford 1952. C. S. Lewis ist längst über 50, als er sich zum erstenmal mit einer Frau verabredet. Der renommierte Literaturprofessor, Lyriker, Minnesang-Spezialist und Verfasser von Kinderbüchern sowie religiösen Traktaten hatte noch nie ein Rendezvous. Nun sitzt er im Café und wartet. Er weiß nicht, wie sie aussieht. Und er weiß nicht, wie man das macht: auf eine Frau warten. Aber er läßt sich nichts anmerken.

Auftritt Joy Gresham (Debra Winger): eine Amerikanerin in den Gemäuern des altehrwürdigen britischen Oxford. „Jemand hier, der Lewis heißt?“ Jack muß sich zu erkennen geben und probiert so etwas wie ein Winken. Sie ignoriert seine Scheu: „Jack, ich bin Joy.“

Anthony Hopkins und seine abgebrochenen Sätze. Das Zögern moduliert sein Sprechen; immer wieder macht er Pausen, stockt, blickt kurz auf, verschluckt eine Silbe, geizt mit Vokalen. „Als kämen die Wörter aus dem Nichts“, hat der britische Theaterregisseur David Jones diese Sprechweise beschrieben. Die Zurückhaltung steht im Kontrast zu Hopkins' fülliger Gestalt, der hohen Stirn über den kleinen, aber klaren Augen. Die Augen des Hannibal Lecter in „Das Schweigen der Lämmer“ funkelten vor Kälte und Scharfsicht. Das reine, perfekte Böse ohne jede Falschheit. Straffe Haut, glatt zurückgekämmtes Haar, knappsitzender Gefängnis-Anzug. Er hatte nichts zu verbergen. Der eiserne Panzer, den die Wärter diesem Gesicht verpaßten, schützte weniger vor Lecters Kannibalismus, als daß er diese Nacktheit zur Kenntlichkeit entstellte.

Die Augen von Jack Lewis verraten eher das Gegenteil: die Grenzen des Wissens, die Hilflosigkeit, das Staunen. Auch Lewis kann nicht aus seiner Haut. Aber die Augen und die unmerklichen Gesten entblößen seine Seele. Er begreift es selbst nicht. Lewis will sich verabschieden, er hätte soviel zu sagen, ist überwältigt. Anthony Hopkins hebt kaum die Hand. Das genügt. Es nimmt einem den Atem. Kein anderer Schauspieler ist derzeit in der Lage, mit so wenig Bewegung so viel zu bewegen. Wie er das macht? „Ich lerne meinen Text und halte die Termine ein.“ Wer Hopkins nach Arbeitstechniken befragt, erfährt höchstens, was ohnehin zu sehen ist: Understatement. „Es gibt nichts zu zeigen“, bedeutet der Schauspieler Regisseuren, die „mehr“ wollen.

Hochzeitsnacht?

Später, viel später, als Jack Lewis und die Schriftstellerin Joy Gresham geheiratet haben, als Jack bei der Zeremonie entdeckt hat, daß ihm das Küssen Spaß macht, als sie längst wissen, daß Joy unheilbar an Knochenkrebs erkrankt ist und sie nicht mehr viel Zeit haben, verbringen sie ihre erste gemeinsame Nacht. Wieder so ein Moment, in dem Regisseur Attenborough, der den Kitsch in dieser übrigens wahren „Lovestory für Erwachsene“ (Attenborough) sonst nicht scheut, zugunsten von Hopkins auf Sentimentales verzichtet. Wieder so ein Moment, den Jack noch nicht kennt. Bisher hatte er kluge Vorlesungen gehalten über den Unterschied zwischen dem Verlangen nach Glück und dem Besitz desselben und daß ersteres vorzuziehen sei. In seinem Zimmer hängt ein Bild vom Golden Valley, für ihn zeitlebens der Inbegriff des Gelobten Landes. Auf die Idee, sich das Tal einmal anzusehen, ist er noch nie gekommen. Wie geht das, eine Hochzeitsnacht? „Mach alles wie immer, nur daß ich auch da bin. So geht das“, sagt Joy. Und Jack erklärt ihr sein abendliches Ins-Bett- geh-Ritual, penibel bis ins Detail. So gibt er sich zu erkennen. Hopkins über Hopkins: „Ich bin ein Anti-Romantiker.“ Jack Lewis bleibt sich auch als Liebender treu, seinem Zögern, seiner Scheu, seiner Hilflosigkeit. Wenn das unromantisch ist, dann zum Teufel mit der Romantik.

Anthony Hopkins, halb Autodidakt, halb klassischer Royal-Academy-Absolvent, ist ein Meister der Befangenheit, der verborgenen Kehrseite. Zwar spielte er vor allem die Monster und Psychopathen, war Coriolan und Macbeth, Quasimodo, Hitler, Mussolinis Außenminister und gewann einen Oscar als „Hannibal the Cannibal“. Aber immer haben seine Täter Schwächen, wenn nicht sympathische Züge, sind Opfer ihrer selbst. Umgekehrt fällt auf seine positiven Helden stets ein Schatten. Dr. Treves, der Arzt in Lynchs „Elefantenmensch“, ist keineswegs nur ein gütiger Helfer, er profitiert von der Mißgestalt seines Schützlings nicht weniger als vorher die Zirkusleute. Ihn plagen Selbstzweifel: „Bin ich gut, oder bin ich böse?“

Mad Hopkins

Hopkins stammt aus Wales. Sein Vater, ein Bäcker, war streng, in der Schule galt der Sohn als Eigenbrötler, kam nicht mit, hielt sich selbst für zurückgeblieben. „Ich war ein hoffnungsloser Fall.“ Seine früheste Kindheitserinnerung: ein böses Gesicht, das sich über den Kinderwagen beugt. Noch Jahrzehnte später dachte er, daß etwas bei ihm nicht stimmt. Ein vergessenes Gen vielleicht. Die Eltern schickten das mürrische, einsame Kind in ein spartanisches Internat; aber er schaffte nicht einmal die Mittlere Reife. Seine Militärzeit war noch grausiger. Bloß wenn er Klavier spielte, ging es ihm gut. Sie nannten ihn „Mad Hopkins“ deshalb – den verrückten Professor. In einer Theatergruppe des YMCA fühlte er sich überraschend wohl, der Bühnenrahmen gab ihm Sicherheit. Nach eigener Auskunft hatte er dort zum erstenmal das Gefühl dazuzugehören. Sein erste Zeile: „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.“

Hopkins' wichtigster Mentor war Laurence Olivier, sein erstes Leinwandidol James Dean. Sein Geheimnis: Imitation. Cary Grant hat er immer um dessen Eleganz beneidet, aber Charles Laughton, Richard Burton oder eben Olivier ahmte er so lange nach, bis das unverwechselbare Profil von „Sir Anthony“ daraus wurde. Mittlerweile zieht er das Kino dem Theater vor. Hopkins braucht die Begrenzung als Voraussetzung für die Freiheit seines Spiels. Seine größten Probleme waren jahrelang der Jähzorn und der Alkohol. Der Rat an seine Tochter, die ebenfalls Schauspielerin werden will: „Du brauchst eine Struktur in deinem Leben, sonst gerätst du in Panik.“

In „Magic“ (Richard Attenborough, 1978) nimmt die Panik Gestalt an. Der schüchterne Bauchredner Corky (Hopkins wurde für die Rolle von einem Profi geschult) legt sich die Puppe Fats zu, die die Obszönitäten und geheimen Wünsche ausplaudert, die sein Herr sich verkneift. Am Ende dominiert Fats den schizophrenen Zauberer – ein Horrorfilm über einen, der die Gewalt über sich verliert, indem er sie abspaltet.

Mit Hopkins haben die anderen es schwer. Neben ihm verblassen sie auf der Leinwand. Oder sie müssen – wie Debra Winger in „Shadowlands“ – einen ohnehin undankbaren Part absolvieren: Frau stirbt, damit Mann sich läutern kann. Wenigstens James Ivory hat für Hopkins eine ebenbürtige Partnerin gefunden. In „Howards End“ (1992) heiratet Henry Wilcox Margaret Schlegel (Emma Thompson) – ohne mit der Wimper zu zucken; in „Was vom Tage übrigblieb“ (zur Zeit noch in den Kinos) verliebt sich Butler Stevens in die Haushälterin Sara Kenton (Emma Thompson) – und sagt es ihr nicht.

Ein Bourgeois

Henry Wilcox ist ein Bourgeois, gefesselt in seinen Konventionen. Das personifizierte Klassenbewußtsein. Den Heiratsantrag macht er auf dem Treppenabsatz, eine kurze Kehrtwende, mehr nicht. Auch Wilcox ist einer, der nicht aus seiner Haut kann; der Standesdünkel ist ihm zur Natur geworden. Seine Zwänge spiegeln sich in der Freiheit, die Margaret Schlegel sich herausnimmt. Dabei sprengt sie keineswegs des Rahmen, sondern untergräbt geduldig und behutsam sein starres Denken. Als die Fassade zusammenbricht und sein Sohn wegen Mordes verhaftet wird, sitzt Henry Wilcox auf der Wiese, weint, und kann es nicht. Er plumpst bloß aufs Gras.

Mit Butler Stevens und Miss Kenton wiederholt sich die Konstellation im Milieu der Dienstleute. „Was vom Tage übrigblieb“ erzählt dieselbe Geschichte noch einmal, allerdings bitterer. Eine Tragödie der leisen Töne: Diesmal bleibt alles ungesagt. Hopkins tritt auf als die Inkarnation des perfekten britischen Butlers, der auf der Festtafel den Abstand der Gläser zum Tischrand mißt und beim Tod seines Vaters keine Minute vom Dienstplan abweicht. Er hält inne in jeder Bewegung, zügelt jegliche Emotion, wahrt immer die Fassung – und verliert dabei alles. Es ist Hopkins' traurigste Rolle und seine ergreifendste: das Portrait eines unglücklichen Menschen, der sich raushält, sich kein Urteil anmaßt und niemals aus eigenem Impuls handelt. So versäumt er sein Leben. Verantwortung tragen andere: sein Dienstherr Lord Darlington, der aus politischer Naivität mit den Nazis kollaboriert, genauso wie Miss Kenton, die schließlich den Falschen heiratet, um nicht allein zu bleiben. In beide Fehler, den politischen wie den privaten, ist Stevens verstrickt. So scheitert er selbst in seinem Bemühen um Distanz.

Verpaßte Chancen

Einmal gelingt es der Haushälterin doch, sich ihm zu nähern. Sie will wissen, was er liest. Sie ignoriert seine Verlegenheit und löst, halb im Scherz, seine Finger einen nach dem andern vom Buchdeckel. Mit der gleichen Geste hatte Stevens vorher die krampfigen, wie totenstarren Finger seines sterbenskranken Vaters vom Besenkasten losgemacht. Wie der Alte auf seiner Arbeit beharrte, besteht der Sohn auf dem, was er Privatsphäre nennt und wehrt sich gegen Miss Kentons Annäherung. Aber dann läßt er es geschehen. In die Ecke gedrängt, schaut er das Gesicht der geliebten Frau an, ein einziges Mal flackert in seinem unendlich warmen Blick Zärtlichkeit auf. Mit der freien Hand schützt er sein Gesicht, will nach ihrem Haar greifen, zieht die Hand zurück an die Schläfe – wieder so eine abgebrochene Geste. Dann fällt er zurück in die Einsamkeit, ein für allemal. Als Butler Stevens ist Hopkins ein Meister der verpaßten Chancen; als Jack Lewis beweist er, daß es noch schöner ist, ihm dabei zusehen, wie er sie nutzt.

In „Shadowlands“ gibt Jack Lewis seine Überzeugungen preis, gibt System und Sicherheit auf und riskiert die Panik. Nur so, indem er sein Wissen verwirft, sogar seine brillante Theorie vom Sinn des Leidens, gewinnt er eine Erkenntnis. Zum erstenmal spielt Hopkins einen zärtlichen Liebhaber. Als Joy gestorben ist, trauert er maßlos. Der wirkliche C. S. Lewis ist drei Jahre danach gestorben.

Die meisten Hopkins-Zitate stammen aus der lesenswerten Biographie von Quentin Falk: „A. H. – Der Mann, der Hannibal Lecter war“, Heyne Filmbibliothek 1993

„Shadowlands“, Regie: Richard Attenborough. Mit: Anthony Hopkins, Debra Winger, u.a. GB 1993, 132 Min.