Kurzhaarige junge Herren

Mit Rechten reden? Oioioi! Und wenn ja, worüber? Und wie? Und wo? „Ich nehme den Lenin-Button ab, und die rufen kein ,Sieg Heil!‘“: Ein Gespräch mit dem Autor Klaus Farin  ■ Von Mariam Niroumand

Klaus Farin publiziert seit Jahren zum Thema Rechtsradikalismus, zum Teil auch in der taz. Neben Fortbildungen für Sozialarbeiter ist er Reisender in Sachen Oi!-Musik.

taz: Wo ich herkomme, steht an jeder dritten Hauswand „Nazis raus“. Haben wir irgendwas zu reden mit Rechten? Und wenn ja, wie?

Klaus Farin: Die Frage ist natürlich schon falsch gestellt. Wer schafft es denn in seinem Leben, n i c h t mit Rechten zu reden? Man weiß, daß jeder 13. Deutsche immer noch nationalsozialistisch denkt, jeder dritte Deutsche tendenziell fremdenfeindlich ist – also redet doch zwangsläufig jeder mit Rechten. Das Problem ist, daß viele unter Rechten immer nur kurzhaarige junge Herren verstehen, wo man sich eigentlich um ein viel breiteres Völkchen kümmern müßte.

Erbarmen mit den Deutschen in größerem Stil? Wenn ich mich auf die kurzhaarigen jungen Herren beziehe, dann deshalb, weil sie die Aktivsten sind. Wie redet man mit denen?

Wenn ich in einer Kneipe sitze, und einer macht rassistische Witze, dann reagiere ich darauf. Dann sage ich, daß ich das scheiße finde. Wenn ich den besser kenne, mache ich ihm klar, daß er sowas zu unterlassen hat, wenn er mit mir in einer Kneipe sitzen will. Jedenfalls muß man nicht die eigene Meinung zurückhalten, wenn man mit einem Andersdenkenden ins Gespräch kommen will. Gerade junge Rechte finden es oft spannend, wenn einer links ist und trotzdem mit ihnen redet. Mir hat mal einer gesagt: „Alle denken, wir wollen rechte Sozialarbeiter. Quatsch! Rechts sein können wir auch alleine.“ Ich habe auch immer antirassistische Buttons an der Jacke gehabt, und es hat, soweit ich weiß, kein einziges Gespräch beendet.

Wie läuft denn dann so ein Gespräch?

Ich komme natürlich aus der Journalistenperspektive, nicht als Sozialarbeiter. Ich gehöre also einer Berufsgruppe an, die zu Recht einen schlechten Ruf hat. Wenn ich in ein Stadion, einen Jugendklub oder ein Skin-Konzert ging, saß ich oft erstmal ein paar Minuten allein am Thresen. Scheiß Presse! Wollen wir nicht, machen wir nicht! Das kann eine Stunde dauern, in der du allein dein Bier trinkst, und dann kommt einer auf dich zu: „Ich geb keine Interviews, aber was ich schon immer mal richtigstellen wollte...“ Dann kommt sehr häufig ganz kurz etwas Politisches, vielleicht so BluBo-Sprüche: „Die Stadt ist voller Kanaken, letzten Freitag haben sie schon wieder unsere Mädchen angemacht...“, oder: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“. Und wenn du da nachfragst: Goethe, Schiller, unser Bier, also zum Teil relativ äußerliche Sachen, die mit ihrem Leben wenig zu tun haben. Aber dann kommt schnell sehr viel ganz Privates, was ich niemandem gleich erzählen würde: Schwächen, Fehler, Mißgeschicke, Leidenschaften. Das ist doch pervers, einem Journalisten, der ein Verwertungsinteresse hat, gleich so private Dinge zu erzählen! Bis hin zu kriminellen Geschichten, gerade bei den Jugendlichen. Es stellt sich also heraus, daß diese stolzen Deutschen einen Berg von Problemen vor sich herschieben und daß ihnen zum Teil die sozialen Kompetenzen fehlen, sie zu lösen. Es ist kein Zufall, daß so viele Linke Häuser besetzt und die auch gerettet haben, während es kaum selbstverwaltete rechte Wohnhäuser und Jugendklubs gibt.

Also ohne ein Gefälle geht es nicht: Ich kann nur sozialarbeiterisch zuhören, mir meinen Teil denken, wenn ich mit Rechten rede, 1:1 läuft es nicht.

Wenn ich als 36jähriger mit Beruf, Wohnung, Perspektive mit einem 17jährigen Rechten ohne Job rede, ist da natürlich immer ein Gefälle. Aber das ist kein sozialarbeiterisches Gespräch, sondern ein normales zwischenmenschliches Gespräch, was heute vorschnell von vielen saturierten Linken auf die Ebene des professionellen Sozialarbeiters abgeschoben wird. Wenn ich merke, in der Nachbarwohnung sitzen Leute mit argen Problemen, die ihre Kinder prügeln, dann muß man sich eben einmischen.

Muß man Berufsjugendlicher sein, um mit Rechten zu reden?

Nö, das nicht, aber es ist Quatsch, da von einem Gleich-zu- Gleich zu reden. Auch wenn man jemandem helfen will, ist ein Gefälle da. Aber wenn ich mit erwachsenen Rechten rede, dann sind das nicht unbedingt Sorgenkinder. Aber mit älteren Skinheads, mit denen ich mehr zu tun habe als mit normalen rechten Spießern, rede ich kaum über Politik, weil die das genauso wenig interessiert wie mich deren Meinung dazu. Wir reden über Musik, persönliche Themen, meine oder deren Arbeit, darüber, wie sie mal wieder Streß hatten, nicht in einen Klub reingekommen sind, weil sie Glatzen sind, egal ob rechts oder links. Auch linke oder nicht rassistische Skinheads werden ja regelmäßig von Autonomen, Möchtegern-Antifas oder türkischen Jugendgangs verprügelt.

Das heißt, es muß eine bestimmte kulturelle Nähe geben, um miteinander reden zu können?

Offenheit, Neugierde. Szene- Kenntnisse schaden nicht. Für Skins ist Oi!- oder Ska-Musik, das Outfit, das subkulturelle Zusammengehören in den Cliquen etc. eine Frage des Lebensstils, nicht Politik. Das zu akzeptieren, die eine oder andere Band zu kennen, erleichtert das Gespräch – politisch anderer Meinung zu sein, ist da nicht so wichtig.

Waren wir nicht spätestens seit BachMozartWagner davon ausgegangen, daß Musik auch Politik ist? Wo verläuft denn musikalisch die Grenze für Dich: Das höre ich mir noch an und das nicht mehr?

Techno und Phil Collins höre ich mir freiwillig garantiert nicht an. Die Grenze verläuft bei den Texten. KZ-Wächter haben sich bekanntlich ja auch mit Klassik in Stimmung gebracht; deshalb ist die Musik nicht faschistisch. Sie wurde allenfalls so mißbraucht und instrumentalisiert. Oi!-Musik ist politisch nicht zu klassifizieren. Da braucht man die Texte und das kulturelle Umfeld.

Da gibt es auf der einen Seite Screwdriver, No Remorse u.ä. Nazi-Bands der herbsten Machart und gleichzeitig antifaschistische Bands wie die Blaggers oder eine meiner Lieblingsbands, Cock Sparrer, die neulich im autonomen KOB in Berlin einen genialen Auftritt hatten. Punk – und nichts anderes ist Oi!-Musik letztlich – galt früher als progressiv, als links, obwohl er das nie war, er war bloß begrenzt antikapitalistisch und rabiat staatsverdrossen und spießerfeindlich.

Da kommen wir der Sache langsam näher: Das ist doch die gemeinsame Schnittmenge. Das Anti-Bürgerliche... Das scheint mir auch der Grund dafür, daß jemand wie Du mit Rechten reden kann, und jemand wie ich nicht...

Wenn Du damit sagen willst, daß Du eine bürgerliche Frau bist...

Mmh.

...die Wert auf ihre sozialen Grenzen legt, dann mag das so sein. Dieses Ich-spiel-nicht-mit- den-Schmuddelkindern-Syndrom ist ja innerhalb der Linken inzwischen mehrheitsfähig. Aber diese Schnittmenge bezieht sich wieder nur auf solche Jugendliche, die sich selbst als anti-bürgerlich sehen. Für mich sind die gefährlicheren Rechten die Leute von der Jungen Union und andere nicht politisch organisierte bürgerliche Rechte, weil die Karriere machen, an die Schaltstellen der Gesellschaft zu kommen versuchen, weil die gezielt auch wirtschaftliche Macht gewinnen wollen. Die werden Juristen, Manager und Medienmacher. Die sind doch gefährlicher als gestrandete Jugendliche mit Krampf im rechten Arm, die sich schon optisch und verbal deutlich outen und damit selbst ausgrenzen.

Das ist jetzt natürlich sehr interessant: Mit Rechten reden ist ja die Antwort auf die Parole „Nazis raus“ – keine Integration. Das heißt nicht nur: Die kriegen keine Tischtennisplatte, sondern man will auf keinen Fall versuchen, die Milieus wieder zu vermischen. Du willst nun zwar mit Rechten reden, aber nur solange sie marginalisiert sind.

Ein rechtsradikaler Bundesverfassungsrichter ist unerträglicher als ein jugendlicher Neonazi. Wenn ein Bundesminister von „Überfremdung“ redet, hat man alles Recht der Welt, seinen Rücktritt und seine gesellschaftspolitische Ausgrenzung zu fordern, aber wenn ein 16jähriger davon redet, muß man mit ihm reden und versuchen, seine Meinung zu ändern. Und in vielen Fällen wird man merken: Es geht.

Und wenn er vorher jemanden erschlägt?

Gerade das soll ja rechtzeitiges Reden verhindern. Gewalttaten muß man natürlich verhindern bzw. ahnden und stigmatisieren, zur Not auch repressiv. Wenn ein Songtext fordert: „Tötet Türken“ oder „Killt Salman Rushdie“, das gibt es ja auch, dann gehört der verboten. Aber die – glücklicherweise – wenigen, die Molotowcocktails auf Flüchtlingsheime werfen und dementsprechend behandelt werden müssen, dürfen nicht als bequeme Ausrede benutzt werden, um das Gespräch mit Rechtsden

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kenden zu vermeiden. Nicht alle, die Rassismus im Kopf haben, werfen Molotowcocktails.

Mir ist immer noch nicht ganz klar geworden: Heißt Mit-Rechten-Reden mit Rechten Bier trinken, oder heißt es Schönhuber in der Talkshow haben? Heißt es, mit einem Skin zusammen im Deutschen Historischen Museum stehen und Hitler-Portraits begucken? Mit Rechten Fußball spielen?

Leute wie Frey, Nolte, Schönhuber, Lummer gehören nicht in Talkshows, gehören nicht in der taz interviewt, es sei denn als gut begründete und intelligent vollzogene Ausnahme, genauso wie Linke nicht in der Jungen Freiheit Interviews geben oder in der FAZ publizieren sollten. Ich habe zum Beispiel wenig Lust, mit dem Welt- Rechtsaußen Zitelmann oder seinem Solidarität heischenden Kumpel, dem taz-Autor Buch, zu diskutieren. Mit jungen Rechten rede ich, und zwar gerne: Da spüre ich, es ist noch was möglich. Bei Jugendlichen muß laissez faire herrschen; die Grenze ist die Gewalt. Repression gegen sie signalisiert nur, daß man der Kraft der eigenen Argumente mißtraut.

Wenn rechte Skins bei Konzerten auftauchen, wie neulich bei Business in Wien, sollte man das als Chance sehen. Die Bedingung in Wien war: keine Aufnäher, kein „Sieg Heil!“, keine Gewalt. Ich mußte auch meinen Lenin abnehmen. Fand ich nicht nett, aber es hat sich gelohnt. „Linke“, das sind für viele „Rechte“ erstmal Leute, die ihnen auf die Fresse hauen wollen und ihre Existenzberechtigung nehmen. Durch Gespräche bekommen sie mit, daß es auch Linke gibt, die ein Interesse haben, mit den Leuten normal zu reden, ohne daß man sich aufs Maul haut. Das ist ein erster Schritt zur Deeskalation – und damit auch zur Sicherung linker Projekte, zur Verhinderung von Opfern.

Hast Du in so einem Gespräch mal was Überraschendes gehört?

Ständig. Zum Beispiel die Tatsache, daß es unter rechten Jugendlichen viele Kriegsdienstverweigerer gibt. Die Motive reichen von „Nicht für diesen Staat“ über „Militär ist sinnlos“ bis hin zu „Soziale Arbeit machen“, wirklich Altenpflege, Kindergarten, schwere soziale Arbeit. Das liegt oft völlig quer zu dem Sozialdarwinismus, den sie in ihren Politparolen verbreiten.

Sehen die diese Filme über sich?

Die meisten Filme sind ja pädagogisierend, und wer läßt sich schon gern nur auf seine Defizite reduzieren. Sie ärgern sich über die stigmatisierenden Krimis, wo sie als Bösewichter vom Dienst fungieren. Kein Mensch interessiert sich für „Beruf Neonazi“ oder für die Person Althans. Ich wüßte keinen einzigen „engagierten“ deutschen Film, der von Skins als authentisch empfunden würde. Der einzige Film, über den neulich in Wien intensiver geredet wurde, war „Schindlers Liste“, und die Diskussion klang nicht viel anders als in anderen Kreisen. Hitler ist längst nicht mehr das Vorbild der jungen Rechten, besonders Skinheads haben wenig Lust auf eine Diktatur.