Abschiebungen in die Türkei kaum möglich

■ Interview mit Hans-Werner Odendahl, Spezialist für Asyl- und Ausländerrecht

taz: Herr Odendahl, unter welchen Voraussetzungen finden in der Bundesrepublik gewöhnlich Abschiebungen statt?

Odendahl: Zunächst muß man mal zwischen Ausweisung und Abschiebung unterscheiden. Die Ausweisung ist in der Regel eine Reaktion auf Straftaten, die bedeutet, daß der Aufenthalt illegal wird. Abschiebung ist der Vollzug einer Ausweisung, wenn der Betreffende nicht freiwillig ausreist oder wegen Inhaftierung nicht ausreisen kann. Der abschiebende Staat muß dann ein Aufnahmeland finden, in das er auch abschieben kann.

Bei den derzeit zur Debatte stehenden Kurden, die aus Bayern abgeschoben werden sollen, handelt es sich um zwei Asylbewerber und einen Familienvater, der eine Aufenthaltsberechtigung besitzt. Können Asylbewerber im laufenden Verfahren überhaupt abgeschoben werden?

Grundsätzlich ist das möglich. Eine Ausweisung von Asylbewerbern kann allerdings nur unter den Bedingungen wie für einen Asylberechtigten erfolgen. Im Ausländergesetz ist festgelegt, daß Asylberechtigte nur bei „schwerwiegender Verletzung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ ausgewiesen werden dürfen. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß bereits Landfriedensbruch oder schwere Körperverletzung (was den Betreffenden vorgeworfen wird) darunter fällt. In der bisherigen Rechtsprechung gibt es Fälle, wo die Ausweisung von Asylberechtigten für zulässig erklärt wurde, aber nicht ihre Abschiebung ins Verfolgerland. Ich kann mir eine „schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ eigentlich nur bei konkreten terroristischen Handlungen vorstellungen. Das gilt genauso für Leute die eine Aufenthaltsberechtigung oder einen ähnlich verfestigten Aufenthaltsstatus besitzen.

Warum sollte bei dem Vorwurf einer schweren Straftat darauf verzichtet werden, diese Straftat zu verfolgen und die Betreffenden statt dessen abgeschoben werden?

Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Verwaltungsgericht einer Abschiebung zustimmt, wenn der Fall noch nicht von einem Strafgericht beurteilt worden ist. Nach einer Verurteilung muß dann vor einer Abschiebung von Amts wegen untersucht werden, ob Todesstrafe, Folter oder sonstige menschenrechtswidrige Behandlung droht. Ganz unabhängig von der Frage einer politischen Verfolgung darf bei drohender Todesstrafe oder Folter ohne Ausnahme nicht abgeschoben werden – das bedeutet in der Praxis, der Betreffende wird ausgewiesen, und da die Ausweisung nicht vollzogen werden kann, erhält er eine Duldung.

Kann denn internationales Recht dadurch umgangen werden, daß die Bundesregierung mit der Türkei eine bilaterale Vereinbarung trifft?

Die europäische Menschenrechtskonvention und die Anti- Folter-Konvention lassen beide keine Ausnahmen wegen irgendwelcher Straftaten zu. Es kommt eben darauf an, ob Folter oder Todesstrafe tatsächlich droht. Bei der Türkei bestehen aufgrund der bislang gemachten Erfahrungen gar keine Zweifel, daß Zusicherungen nicht ausreichend sind. Bundesdeutsche Asylgerichte gehen alle davon aus, daß in der Türkei gefoltert wird und der Staat keine Maßnahmen dagegen ergriffen hat.

Deshalb soll ja jetzt noch eine neue Zusage aus Ankara beschafft werden.

Wir wissen aber doch, daß eine Überprüfung solcher Zusagen in der Türkei nicht möglich ist. Die Türkei hat die Anti-Folter-Konvention ohne Einschränkung unterschrieben. Die Kommission des Europarates, die die Einhaltung der Konvention überwachen soll, mußte ja letztlich öffentlich erklären, daß die Türkei sich nicht daran hält. Diese Erfahrungen kann man jetzt nicht einfach wegwischen.

Sie gehen also davon aus, daß die deutschen Gerichte eine Abschiebung für unzulässig erklären werden?

Ja, ganz eindeutig. Interview: Jürgen Gottschlich