Wie werde ich zur Sexgöttin?

■ Im Kino 46: „Sluts and Goddesses“, ein Videokurs von und mit Annie Sprinkle

Ein „Video Workshop“ für „Schlampen und Göttinnen“, bei dem sich jede Frau durch 101 leichte Übungen in eine Sexgöttin verwandeln kann – wenn das kein Angebot ist. Wer wagt sich an diese epochale Schulstunde heran? Die ehemalige Prostituierte und Pornodarstellerin Annie Sprinkle hat in den letzten Jahren als Sex-Expertin u.a. dadurch Kultstatus erlangt, daß sie bei Liveauftritten ihr gesamtes Publikum bis in ihre Gebärmutter blicken läßt.

Der Witz dabei ist, daß sie alle Grenzen von Anstand und gutem Geschmack souverän ignoriert und dabei das Kunststück fertig bringt, Sexualität zugleich komisch, klug und ohne alle Anzüglichkeiten zu präsentieren.

In diesem Video, das sie 1992 zusammen mit der Regisseurin Maria Beatty gemacht hat, zieht Annie Sprinkle das Genre der Videoworkshops gründlich durch den Kakao. Kostümiert und frisiert wie eine züchtige Volksschullehrerin erklärt sie seriös und anhand von Diagrammen, Fotos und Beispielen, was es so zu den Themen Make-Up, Tätowierungen, Körperbehaarung, Tanz, Dehnübungen und Tiefenatmung zu erfahren gibt. Dabei bleibt sie immer die nette, distanzierte Moderatorin, auch wenn sie per Videotrick direkt aus einer Vagina herausspaziert oder bei den speziellen Tips recht konkret wird , etwa mit ihrem „show some pink“ in der Lektion über das Strippen.

Wie bei jedem guten Workshop macht eine Gruppe von Kursteilnehmerinnen alle Übungen schön mit, aber konsequenterweise taucht nicht ein männliches Körperteil im ganzen Film auf. Bei den „sexercises“ kommen dafür einige Dildos in Einsatz.

Für jede Liebesposition hat Annie einen wunderbar treffenden Namen: „die Karmaschuld zahlen“ oder „an die Himmelstür klopfen“. Und ihren Fünfminuten-Orgasmus zeigt sie komplett mit Fieberkurve („orgasmic energie“) und Stoppuhr. Annies Ansatz, die Sexualität nicht immer so furchtbar ernst zu nehmen, ist für sich schon heilsam genug, aber es ist ihr auch ernst mit diesen Lektionen. Safer Sex wird sogar beim Cunnilingus propagiert; Annie zeigt, wie frau den eigenen Körper entdecken und genießen kann und schafft dies in einem Balanceakt, ohne voyeuristisch oder gynäkologisch zu werden, und sie beschreibt sehr einfach und schön die tandrische Verschmelzung von Sexualität und Mystik. Zuletzt gelingt es ihr sogar noch, einen Kernsatz der Puritaner gegen diese zu wenden: Wenn „kein Tempel so heilig ist wie dein Körper“ kannst du ihn nicht besudeln, indem du ihm huldigst.

Wilfried Hippen

Kino 46, heute und morgen 22.30 Uhr (in der engl. Originalfassung)