In Hänschenkleins Mördergrube

■ „Die Nacht der Mörder“ auf der Schwitzkastenbühne des Jungen Theaters: ein Stück zum und übers Irrewerden

Da ist alles drin, was ein brandaktuelles Erfolgsstück braucht: Ritualmorde, Sado-Maso-Spielchen, vor allem: hungrige junge Leute, die an Eltern, Umwelt usw. irrewerden und praktisch an der Schwelle zum Faschismus stehen. Wie hätte man das schick ausmalen können. Im Jungen Theater aber ist wenig davon zu spüren - dankenswerterweise: Anke Thiessens neue Inszenierung von José Trianas Revolutionsstück „Die Nacht der Mörder“, die jetzt ihre Premiere erlebte, deutet all die schaurigen Hintergründe der Geschichte nur an, erklärt herzlich wenig und konzentriert sich lieber auf die Macht der Gefühle, wie sie anderthalb eindrückliche Stunden lang auf der Bühne toben. Statt einer zeitgemäßen Botschaft bleibt am Schluß das Gefühl völliger Ratlosigkeit: Hier wird das Publikum nicht aufgerüttelt, sondern kräftig durchgeschüttelt.

„Die Nacht der Mörder“ spielt eigentlich in den 50er Jahren, in denen Triana das Stück schrieb. Das Spiel um einen ritualisierten Elternmord erschien damals als Parabel auf die Generationskonflikte der Revolution. Aus diesem historischen Kontext hat sich das – seither reichlich prämierte – Stück längst gelöst. Denn das Thema der Jugendrevolte, der Auflehnung der Jungen gegen die Altvorderen, ist natürlich von zeitloser Schönheit. Die Bremer Inszenierung aber rettet mehr als dieses schmucke Motiv herüber: Vor allem die hitzige Atmosphäre des Kammerspiels ist es, die hier genüßlich und variantenreich zelebriert wird, und die den kleinen Saal für alle Beteiligten zum Schwitzkasten macht.

In gleißendem Verhörlicht werden die drei ältlichen Kinder und ihr Mordsspiel hier vorgeführt. Das Ritual, die Erdolchung der verhaßten Eltern, bildet aber nur eine der vielen Spielebenen: Zwischen Krimi, Drama, Groteske, Sandkastenspiel und Miniplaybackshow springt das Stück munter herum, und mit ihm die drei Schauspielerinnen und Schauspieler.

Und das tun sie mit staunenswerter Geschwindigkeit und Präzision. So werden die drei (Stereo-)Typen, die anfangs auf der Bühne erscheinen, ziemlich schnell in ihre Bestandteile zerlegt; die verzogenen Gören wandeln sich zu unberechenbaren Monstren. Lalo z.B. (Lutz Gajewski) paßt vom strammen Scheitel bis zur Bügelfalte eigentlich prima ins Klischee des alldeutschen Jungfaschisten; dann aber wechselt er das Fach zum Muttersöhnchen, zum Vatermörder, zum Blödelbruder uswusf., im Fünfminutentakt und drunter. Jede neue Facette seines Charakters aber erweist sich als weitere Maske – ob und was in Wirklichkeit dahintersteckt, das bleibt dem Publikum (und Lalo selbst) verborgen. Denn dieses Rollenspiel ist für die dreistfaltigen Geschwister längst zur Sucht, zur zweiten Natur geworden. Neben Gajewski spielen Judica Albrecht (Cuca) und Nomena Struß (Beba) dieses Spielchen mit beeindruckender Gelenkigkeit. Besonders Letzterer wird von der Regisseurin schon ein ziemlich halsbrecherisch fliegender Rollenwechsel abgefordert: Vom brav bezopften Mädchen zur dumm rumpubertierenden Göre und dann zur eiskalten Killerin benötigt Struß nur einen Augenaufschlag lang.

So wird das Publikum von drei ständig wechselnden Charakteren umkreist, bis dann allen recht schwindelig ist. Zumal auch Tonfall und -höhe des Schauerliedleins hurtig wechseln: Mal klingt die „Nacht der Mörder“ nach Gesangbuch, mal nach Militärmarsch und mal nach Hänschenklein.

Diese nächtliche Vision erzeugt keine Betroffenheit: Wenn das Wahnsinnstreiben eine Einsicht vermittelt, dann die, daß es keine Erklärung und keine Lösung gibt für Gesellschafts- und Gemütszustände dieser Sorte. Damit befindet sich die Inszenierung selbst in bester Gesellschaft: Von Beckmanns monströsem Sittengemälde „Die Nacht“, wo Eltern und Kinder einander foltern und hinmorden, bis zu Christoph Schlingensiefs rasenden Bildern des neuesten Deutschlands reicht die Verwandtschaft. Und mit ihr die Erfahrung, daß es recht wenig Hoffnung gibt. Daß solches gerade im Jungen Theater vermittelt wird – das allerdings stimmt Unsereinen doch schon wieder heiter: Das junge Ensemble wird allenthalben schließlich selbst als rebellischer Haufen gesehen, der nun munter gegen jenes elterliche Traditionstheater anrennt (und bald murkst?), welches die junge Brut gestern noch zog und nährte. Thomas Wolff

Nächste Vorstellungen: 8. & 9.4. um 20.30 Uhr; 10.4. um 19.30 Uhr