“Die Mafia in der Sögestraße“

■ Nach dem Brandanschlag im Stadtamt geht die Angst in den Behörden um / BremerInnen werdengegenüber den StaatsvertreterInnen immer rabiater

In den Bremer Amtsstuben herrscht das große Zittern: Nach dem Brandanschlag auf eine Mitarbeiterin des Stadtamtes kocht nun im öffentlichen Dienst ein Thema hoch, das in diesem Zusammenhang bislang nur hie und da aufgetaucht war, das Thema heißt Gewalt. Wenn man den Berichten aus verschiedenen Ämtern Glauben schenken kann, dann ist das Klima zwischen dem Bremer Publikum und den BehördenmitarbeiterInnen in den letzten Jahren spürbar aggressiver geworden. Die Übergriffe auf Beamte nehmen zu. Gestern berichteten die PersonalrätInnen aus dem Stadtamt und dem Sozialamt Mitte/West vor der Landespressekonferenz. Peter Stiering vom Stadtamt: „Die Schmerzgrenze ist erreicht.“

Eine Schreibmaschine wird einer Kollegin hinterhergeworfen, eine andere wird gewürgt, andere werden mit dem Tode bedroht, Beleidigung ist noch die mildeste Form der Auseinandersetzung, wenn es in der Amtsstube zum Konflikt kommt. Die Auseinandersetzungen werden zunehmend handgreiflich, berichtet Peter Stiering über das Klima beim Stadtamt, zu dem das hochsensible Ausländeramt gehört, aber zum Beispiel auch die bei Autofahrern reichlich unbeliebte Verkehrsüberwachung. Da ist eine Frau im vergangenen Jahr zu Boden geschlagen worden, und dann hat ein aufgebrachter Autofahrer ihr eine Zigarette am Hals ausgedrückt. Stiering legte eine ganze Liste von Übergriffen vor, bis hin zu „mafiaähnlichen Banden“, mit denen sich die Gewerbeaufsicht herumschlagen müsse. „Einer ist in einem Laden in der Sögestraße umringt und bedroht worden: Dich machen wir alle.“ Bei den Bediensteten sei nach dem Anschlag beim Stadtamt das Ende der Fahnenstange erreicht. Sie fordern das wieder zurück, was gerade zugunsten einer bürgerfreundlicheren Verwaltung mühselig abgeschafft worden war: Zum Beispiel Tresen und Trennwände. Und sie fordern Alarmeinrichtungen für den Fall der Fälle.

Und der Personalrat fordert mit. Jetzt, so Stiering, müßten schnell solche baulichen Veränderungen vorgenommen werden. Aber daß das passiert, das sei doch eher unwahrscheinlich, denn: „Die Politik läßt uns im Stich. Senator van Nispen ist sowieso Gegner der Personalvertretung. Auf Schreiben reagiert er nicht, und die Amtsleiter hat er angewiesen, sich nicht mit uns zu einigen.“ Daß die Gewalt mehr wird, dafür gibt es für Stiering auch Schuldige, und die sitzen beim Weser Kurier: „Wenn dort die Verkehrsüberwacher oder der öffentliche Dienst pauschal angegriffen werden, dann verschärft das das Klima.“

Wenn Stiering bauliche Veränderungen fordert, packt Wibke Rendigs, Personalrätin beim Sozialamt, das Thema von der ganz anderen Seite an: Wenn an allen Ecken und Enden beim Sozialetat gespart werde, wenn immer mehr Menschen ohne Perspektive in die Sozialhilfe gedrängt würden, wenn gleichzeitig die Arbeitsbelastung der SachbearbeiterInnen steige, dann sie es kein Wunder, daß das Klima aggressiver wird. Fortbildung für die MitarbeiterInnen in Deeskalationsstrategien würden nicht angeboten. „Es gibt noch nichtmal Geld, Broschüren für die AusländerInnen zu produzieren. Die kriegen wir nicht gedruckt.“ Dolmetscher gebe es schon gar nicht. So seien die SachbearbeiterInnen darauf angewiesen, komplizierte juristische Sachverhalte, die sich für die Betroffenen aber in barer Münze rechnen, mit Händen und Füßen zu erklären. „Auf unseren Fluren ist es wie Babylon. 200 Leute aller Nationalitäten, Alte, Kinder dazwischen, keine Stühle, keine Aschenbecher, ein Klo pro Etage. Kein Wunder, daß da die Stimmung aggressiv wird.“

So unterschiedlich der Ansatz der PersonalrätInnen sein mag, in einem sind sie sich einig: Das Thema wird von denen da oben nicht ernst genug genommen. Und dafür haben sie auch einen Lackmustest. Wenn es erst nämlich zu einem Angriff gekommen sei, dann halte sich die Behördenspitze meistens heraus. Die Klage gegen den Angreifer, das sei dann meistens die Privatsache des Angegriffenen. Wibke Rendigs: „Wenn dabei das Fenster kaputt geht, dann holen sie den Glaser, und das war's dann.“

Jochen Grabler