: Nepper, Schlepper, Bauernfänger
■ Radiowoche "Kriminalität" beim WDR: 60 tapfere Sendungen gegen die alltägliche Angstmache
Die Sicherheit in Deutschland, so weiß der WDR, könnte in diesem Jahr „Wahlkampfthema Nummer eins“ werden. Inwieweit die Debatte um die innere Ordnung wahlentscheidend sein wird und in welchem Ausmaß dabei weitere Gesetzesverschärfungen gefordert werden könnten, ist noch nicht abzusehen. Schon jetzt aber lassen diverse nicht nur regierungsseitige Äußerungen Schlimmes vermuten. Daß bei all diesen Verlautbarungen eine Menge Hysterie, Irrationalität und Angstmache im Spiel sein werden, ist vorhersehbar. Anlaß für den WDR, sich kritisch mit dem Thema Kriminalität auseinanderzusetzen: „Aufklärung statt Angstmache, Information gegen Schlagworte“ heißt das Motto der Anfang April gestarteten und noch bis Ende Mai laufenden Radiowochen, die sich umfassend um die Schattenseiten der menschlichen Existenz kümmern sollen.
Rund 60 Sendungen auf den WDR-Hörfunkprogrammen 1, 2, 3 und 5 befassen sich mit den unterschiedlichsten Aspekten der gewöhnlichen Kriminalität, des großen Verbrechens und anderen Kleinigkeiten. Derzeit so beliebte Themen wie „Organisierte Kriminalität“, „Wirtschaftskriminalität“ und „Geldwäsche“ kommen zur Sprache. Obendrein legt sich der Sender gleich noch mit der „Mafia in Köln“ an. „Du zahlst – wir schützen dich“, ein Beitrag, der, so Autor Frank Steffan, unter abenteuerlichen Bedingungen entstanden ist: Die einjährige Recherchearbeit über die Kölner Clans fand vor allem in der Gastronomie statt. Pizzabäcker, Kneipen- und Kioskbesitzer, wer einmal Schutzgeld zahlt, kommt nie mehr aus den Fängen der Mafia heraus.
Breiten Raum nimmt auch der landläufige Betrug im Lebensmittelbereich ein, von „Gentechnischem Käse unter falscher Flagge“ über illegale Fleischtransporte bis zum „Subventionsbetrug“. Auch Beiträge über Umweltgangster fehlen nicht. Im „Ökoclip“ geht es um Müllschiebergeschäfte oder den Import geschützter Tier- und Pflanzenarten.
Wie kommt das Böse in die Welt?
Eine Reihe von Sendungen befaßt sich mit dem Strafvollzug. Der Schulfunk weiß einerseits vom „Brennen, Sieden, Pfählen“ der Vergangenheit zu berichten, befaßt sich aber auch mit dem zeitgenössischen „Gefängnis als sozialem System“. „Kinder im Knast“ kümmert sich um den Jugendstrafvollzug in Europa. Außerdem vorgesehen ist eine Livesendung aus dem Düsseldorfer Gefängnis. Vor Ort soll mit vier Insassen unter anderem über Arbeit und Bildung im Knast, über Bewährung und Drogen diskutiert werden. Gestreift wird auch das Thema „Rechtsradikalismus“. Es gibt eine Sendung, die sich „Rechtsradikale hinter Gittern“ vornimmt, darüber hinaus zwei Beiträge, die der rechten Hetze Aufklärung entgegensetzen sollen: zum Thema Ausländer und Kriminalität allgemein sowie über Roma und Sinti und deren angeblich so langfingrige Kinder.
Neben Essays und Features bringt die Sendereihe auch Reportagen über Täter und Betroffene: In „Riff“ wird es ein „Porträt eines jungen Mörders“ geben, in „Daheim und unterwegs“ berichten zwei Frauen, warum und wie sie ihre Männer ermordet haben. Es werden aber auch Grundsatzfragen diskutiert, etwa, wie aus uns friedliebenden Menschen gewalttätige, hinterlistige Kreaturen werden: „Ursachen der Gewalt“ – ist sie in der Biologie schon festgeschrieben oder eine Frage der Sozialisierung? Wie weit ist Gewalt sanktioniert? Oder auch: „Wie kommt das Böse in die Welt“ – ein Feature über die Frage, ob Kriminalität nur „Indikator gesellschaftlicher Fehlentwicklungen“ ist. Der Beitrag „Angst“ wagt sich dann wirklich in die Höhle der Staatslöwen und beschäftigt sich 60 Minuten lang mit dem „Politikum der inneren Sicherheit“.
Bei soviel sorgsam zusammengetragener Kriminalität drängt sich natürlich die Frage auf, inwieweit schon durch die Anhäufung der Themen das Bild einer kriminell durchseuchten Gesellschaft vermittelt wird, in der dann doch mal ordentlich aufgeräumt werden sollte. Damit wir nicht aus Versehen in die verkehrte Richtung denken, werden wir bei allen Beiträgen stets didaktisch grundversorgt: Wie die Programmverantwortlichen versprechen, soll sich die Frage, wie weit Vorstellung und Realität auseinanderklaffen, als roter Faden durch jede einzelne Sendung ziehen. Oliver Rahayel
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