■ Spätlese
: Fortsetzung II

Was schließlich die letzten Zuckungen des Viktorianismus in der Gegenwart anbelangt, kann derzeit Margaret Atwood den kanadischen Wilkie-Collins-write-alike- Preis beanspruchen: Mit den klassischen Substantialien des Schauerromans und unter sparsamer Verwendung moderner Akzidentialien (Drogen, Mafia, Libanon) hat sie einen Roman über das Böse in seiner klassischen Gestalt, der Frau, vollbracht und insofern das von Schmidt in einem Satz formulierte Prinzip schlicht umgedreht. Und sie ist auch immer dann am besten, wenn die Hauptfigur woanders weilt, wenn die Gedanken, Hoffnungen und Taten aller „Nebenfiguren“ sie umkreisen, aber nicht berühren. Die ganze Sache fängt gut, genau und beinahe harmlos an, denn Atwood kann, wie es so schön heißt, Figuren „gestalten“ oder gar „schöpfen“. Im Fortgang der Ereignisse hat sie aber offenbar der Ehrgeiz übermächtigt, einen Fortsetzungsroman für die Yellow Press zu schreiben, der ihr zwar keine literarischen Ehren mehr einbringt, dafür aber anderen schlaflose Nächte bereitet. Als läse man einen ganzen Jahrgang Bunte hintereinanderweg, ist man anschließend emotional erschöpft und findet sein Hirn vor wie vor jeder Erfahrung: vollkommen leer, aber die Mechanismen funktionieren noch. Zumindest soweit, daß ich hier feststellen darf: Der Roman, so scharfsinnig, komisch und beißend spannend er über weite Teile ist, schafft keinerlei Erinnerung. Aus all den Fähigkeiten der Margaret Atwood ist nichts geworden als ein Reißer, der sämtlichen literarischen Aufwand unter sich begräbt. Schade eigentlich.

Margaret Atwood: „Die Räuberbraut“. Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek. S. Fischer Verlag, gebunden, 584 Seiten, 48 DM.