Gegen Ökofaschismus

■ Wenn am Samstag der Parteitag der russischen Grünen stattfindet, geht es nicht nur um ökologische Fragen

Moskau (taz) – Wenn die russischen Grünen am 9. April ihren diesjährigen Bundeskongreß abhalten, gibt es wenig Grund zum Feiern. Denn die 1.500 Mitglieder starke Partei, die immerhin in der Hälfte der 88 Regionen Rußlands vertreten ist, hat ihr Ziel, Abgeordnete in die Staatsduma zu entsenden, nicht erreicht. Nicht aus eigener Schuld, wie Alexander Schubin, Mitglied des achtköpfigen Bundesvorstandes, meint: „Die Parlamentswahlen waren manipuliert. Es ist kein Zufall, daß es die Parteien, die nicht zum politischen Establishment gehören, den Einzug in die Duma nicht geschafft haben.“

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Zulassung zur Wahl war die Vorlage einer bestimmten Anzahl von Unterschriften. Die Ausführungsbestimmungen dazu wurden den Grünen jedoch lange vorenthalten. Schubin: „Nur wer gute Kontakte zur Nomenklatura hatte, hatte Chancen, rechtzeitig diese Bestimmungen kennenzulernen.“ Die Folge: Viele Unterschriften wurden per Fax gesammelt, doch erst nach Ablauf der Einreichungsfrist teilte die Wahlleitung mit, daß dies unzulässig sei.

Daß die Grünen bei diesen Wahlen zur Staatsduma nicht gemeinsam mit der anderen Ökopartei „Zeder“ angetreten sind, hängt eng mit der Entstehungsgeschichte der Ökologiebewegung zusammen. Die „Russische Partei Die Grünen“ hatte sich im Mai 1991 noch vor der Auflösung der UdSSR von der sowjetunionweiten Grünen Partei gelöst. Diese wiederum war Ende der 80er Jahre aus den zahlreichen Ökoclubs, die zu Beginn der Gorbatschow-Zeit wie Pilze aus dem Boden schossen, entstanden. Das Spektrum reichte von Gruppierungen, die sich als anarchistisch verstanden, über solche, die einen „anderen Sozialismus“ wollten, bis hin zu Liberalen und Ökologiegruppen. „Zeder“ ist für Schubin dagegen eine Interessenvertretung von Unternehmern und Bürokraten, die das Wort „ökologisch“ nur als Aushängeschild benutzen.

Angesichts der innerparteilichen Meinungsvielfalt haben sich die Grünen nie als reine Ein- Punkt-Bewegung für Ökologie verstanden. Vor dem Hintergrund zunehmend nationalistischer Tendenzen in der Ökologiebewegung, die sich in Gruppen wie „Pamjat“ artikulierten, hatte schon die Grüne Partei der Sowjetunion in der Gründungserklärung „Totalitarismus, Chauvinismus und Ökofaschismus“ den Kampf angesagt.

Die russischen Grünen fordern eine schrittweise Abschaffung der Rüstungsexporte, die Reduzierung des Rüstungshaushalts, und sie treten dafür ein, daß die Soldaten in der Nähe ihres Heimatortes ihren Wehrdienst ableisten. Dann, so meinen sie, wäre es nicht mehr möglich, die Soldaten gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen. Der Stadtverband der Grünen in Moskau geht sogar einen Schritt weiter und fordert die Abschaffung der Wehrpflicht. Entstehen soll eine „Berufsarmee von der Größe einer Nationalgarde“.

Ein anderer Schwerpunkt der Grünen-Programmatik ist ihr Konzept für Selbstverwaltung und Dezentralisierung in Wirtschaft und Gesellschaft. Wie in den meisten anderen Staaten Osteuropas haben die Städte und Kommunen Rußlands keine eigenen Steuereinnahmen und sind daher vom guten Willen der Moskauer Bürokratie abhängig. Nach Meinung der Grünen kann die Verschärfung der Nationalitätenkonflikte im russischen Vielvölkerreich durch Selbstverwaltung verhindert werden. So solle nicht die Regierung die Mittel für die kulturelle Entwicklung der auf seinem Gebiet lebenden Nationalitäten verteilen, weil das „Zentrum“ immer die Kultur der Mehrheitsbevölkerung bevorzuge. Vielmehr sollten die Bürger selbst bestimmen können, welche kulturellen Einrichtungen sie mit ihren Steuergeldern unterstützen wollen. Vorstandsmitglied Schubin: „Wer möchte, daß in seinem Ort eine neue Moschee gebaut wird, soll hierfür seine Steuern widmen – wer meint, die orthodoxe Kirche müßte renoviert werden, soll dafür seine Steuergelder verwenden lassen.“ Da es jedoch auch „vor Ort“ zu Entscheidungen zugunsten der nationalen Mehrheit kommen kann, haben die Grünen weitreichende Vorschläge zur Sicherung der Minderheitenrechte erarbeitet. So soll jede Region, in der mindestens ein Viertel der Bevölkerung eine andere Sprache als die Mehrheit spricht, zum zweisprachigen Gebiet erklärt werden. Sämtliche offiziellen Dokumente müßten dann zweisprachig abgefaßt sein.

Während sich nicht nur Ultranationalist Schirinowski, sondern auch die Mehrheit der anderen Parteien in erster Linie für die Rechte der russischen Minderheiten in den anderen Republiken einsetzen und gleichzeitig die Einreise von Nichtrussen erschweren wollen, wollen die Grünen mit allen Staaten der ehemaligen Sowjetunion Abkommen über visafreien Reiseverkehr abschließen. Hierbei dürften die im „nahen Ausland“ lebenden Russen keine Vorzugsbehandlung erfahren.

Trotz all dieser sehr unkonventionellen Positionen sind die Grünen keine Organisation, an der sich in Rußland die Gemüter erhitzen. Denn die Existenz dieser Partei ist sogar in Moskau kaum bekannt. Selbst wenn es keine Benachteiligung durch staatliche Stellen gegeben hätte, scheint es daher mehr als fraglich, ob die Grünen den Sprung ins Parlament geschafft hätten. Bernhard Clasen