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■ Das PortraitHarry Blackmun

Ex-US-Richter Foto: Reuter

Eines hat er bis zu Ende seiner beruflichen Karriere beibehalten: seine Vorliebe für eine unverblümte, ehrliche Sprache. Als ihn ein Reporter fragte, warum er ausgerechnet jetzt sein Amt abgebe, antwortete der 85jährige: „Ich will nicht warten, bis meine Senilität inakzeptable Ausmaße annimmt.“ Mit diesen Worten kündigte Harry Blackmun nach 24 Jahren Mitgliedschaft im Obersten Gerichtshof der USA seinen Rücktritt an. Eine Ehre sei es gewesen, erklärte er am Mittwoch im Beisein von US-Präsident Bill Clinton: „Aber Spaß hat es meistens nicht gemacht.“

US-Präsident Richard Nixon hatte den Juristen aus dem Bundesstaat Minnesota 1970 für einen Sitz im höchsten US-Gericht benannt – in der festen Annahme und Hoffnung, damit den konservativen Block innerhalb des Richtergremiums zu stärken. Doch kaum drei Jahre später hatte Blackmun Konservative aller Couleur gegen sich aufgebracht: Aus seiner Feder stammte die Begründung für das Grundsatzurteil „Roe v. Wade“, mit dem der Oberste Gerichtshof 1973 das Recht der Frau auf einen Schwangerschaftsabbruch unter den Schutz der US- Verfassung stellte. Der ewige Respekt der Frauenbewegung war Blackmun damit ebenso sicher wie der ewige Haß der christlichen Rechten und ihrer „Lebensschützer“.

Blackmun bestreitet bis heute energisch, daß er sich von einem konservativen zu einem liberalen Juristen verwandelt habe. Vielmehr sei das Gericht über die Jahre konservativer geworden. Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte. Der Rechtsruck des US Supreme Court während der letzten fünfzehn Jahre ist ebenso unbestreitbar wie Blackmuns zunehmend liberale Rechtsprechung. Vor allem aber entwickelte er die für Verfassungsrichter uncharakteristische Angewohnheit, die Auswirkungen richterlicher Entscheidungen auf das Leben der Betroffenen zu übertragen. Ganz allein stand Blackmun, als er seine vorbehaltlose Opposition gegen die Todesstrafe erklärte.

US-Präsident Clinton hat nun, nach der Ernennung von Ruth Bader Ginsburg, zum zweiten Mal in seiner Amtszeit die Chance, dem Gericht durch eine(n) KandidatIn seiner Wahl einen Stempel aufzudrücken. Beste Chancen werden in Washington dem derzeitigen Fraktionsführer der Demokraten im Senat, George Mitchell, eingeräumt. Der 53jährige Politiker aus dem Bundesstaat Maine hat bereits vor längerem erklärt, daß er nicht wieder für den Senat kandidieren wolle. Andrea Böhm

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